Im dörflichen Leben des Weinviertels, so erzählt Harald Pollak, seien der Bürgermeister, der Pfarrer und der Wirt die Säulen der Gesellschaft. Das weiß der knapp Dreißigjährige, der in den vergangenen Jahren Restaurantleiter im Restaurant "Vestibül" im Burgtheater war, ziemlich genau, weil er nämlich aus Unterretzbach im Weinviertel stammt. Und was er ebenfalls weiß, ist, dass "es kulinarisch hier nicht besonders viel gibt", und außerdem habe er im Hinterkopf immer schon gewusst, dass da heraußen was möglich sei.

So kam es, dass er der Gemeinde dereinst einen Vorschlag machte, wie das 120 Jahre alte und riesige Gasthaus in Unterretzbach, das schon seit Jahren verfiel, wieder in Schwung zu bringen sei: Durch kräftige Investitionen und ein Angebot, das über die pure Verabreichung von Nahrungsmitteln hinausgeht. "Wir haben derzeit 54.000 Nächtigungen pro Jahr im Retzer Land", weiß Pollak, hauptsächlich Radfahrer und Wein-Touristen, "und immer nur Heurigen reicht den Leuten auch irgendwann einmal. Also beschloss die Gemeinde, auf den jungen Exil-Unterretzbacher zu hören, kaufte die Liegenschaft, investierte 750.000 Euro und inserierte in der Retzer Landzeitung, dass es da ein riesiges Gasthaus zu leiten gebe.

Harald Pollak und seine Lebensgefährtin Sonja Rados gingen somit aufs Land. Gemeinsam mit Vater und Großvater renovierte Pollak im großen Stil, modernisierte das alte Salettl aus den 30er-Jahren, vertiefte ein altes Ziegelgewölbe um 60 Zentimeter, richtete ein so genanntes "Presshaus" ein, installierte eine "Fassl-Sauna", einen Grillplatz, einen Kräutergarten. Am 7. August eröffnete der "Retzbacherhof" anlässlich des Unterretzbacher Kirtages, die Gemeinde war sehr zufrieden, auch der Bürgermeister und der Pfarrer.

Wobei Harald Pollak jetzt nicht nur der Unterretzbacher Wirt ist, sondern auch der Koch. Zum ersten Mal übrigens, weshalb der riesige Gastgarten nur locker mit Tischen bestückt wurde, "denn wenn die Kirchenglocke um zwölf Uhr läutet, sind wir voll, und alle wollen gleichzeitig was zu essen, um dreiviertel eins sind wir wieder leer. "Wir sind halt am Land", schmunzelt er, übrigens auch die Erklärung dafür, dass die Portionen äußerst großzügig dimensioniert sind und sein müssen.

Die Karte ist klein, wird aber häufig gewechselt, die meisten Produkte stammen aus der unmittelbaren Umgebung oder gleich von Pollaks Eltern, seit zwölf Jahren erfolgreich mit Ab-Hof-Vermarktung. So werden etwa jede zweite Woche fünf Schweine geschlachtet, was im "Retzbacherhof" dann zu frischem Blunzengröstel führt. Auch die Roten Rüben werden von den Eltern eingelegt, mit Kren, Schafkäse-Kugerln und Pesto eine einfache und erfrischende Angelegenheit (€ 5,40). Die gebratenen Steinpilze mit Blattsalat sind tadellos (€ 5,80), das Kalbsbeuschel mit Serviettenknödel pur und deftig (€ 5,80). Rostbraten mit Zwiebel-Speck-Sauce und einer ordentlichen Portion Bratkartoffeln, weich und von erstklassiger Fleischqualität (€ 9,50), das Schnitzel ebenfalls, aus Fleisch vom Weinviertler Strohschwein gemacht, zart und nicht zu stark plattiert, und außerdem in einem Format, wie man es hierorts schätzt (€ 7,90).

Der "Retzbacherhof" scheint jedenfalls ein gutes Beispiel für ein richtiges Gasthaus am richtigen Ort zu sein. (DERSTANDARD/rondo/Florian Holzer/17/09/04)