"Unsere gemeinsame Kultur" lässt das Wiener "Depot" anlässlich seines zehnjährigen Bestehens von SchriftstellerInnen hinterfragen. Einen der ersten Vorträge hielt Marlene Streeruwitz, in Wien lebende Schriftstellerin und Dramatikerin, - entlang der Definitionen des Austrokoffers.


Wer, wenn nicht wir. Zitat aus dem Einleitungstext der ersten Homepage zum Austrokoffer: "Wozu das Ganze? Der Austrokoffer zeigt: das kleine Österreich ist eine kulturelle Großmacht. Der Koffer ist eine patriotische Parallelaktion: zur Politik läuft parallel die Literatur - und da sind wir unübertroffen." Zitatende. Das Ganze wird also inszeniert, damit der Austrokoffer etwas zeigen kann. "Wozu das Ganze? Der Austrokoffer zeigt:" Der Austrokoffer ist so zuerst einmal eine Antwort. Die Antwort auf die ja sehr rhetorische Frage "Wozu das Ganze?".

Rhetorische Fragen werden normalerweise nicht beantwortet. Die rhetorische Frage ist eine unechte Frage, die nicht auf Antwort zielt, sondern der Betonung, der positiven oder negativen Hervorhebung und affektbestimmten Aussage dient. Der Austrokoffer muss dann eine rhetorische Antwort sein, die nichts beantwortet. Die nichts beantworten, aber sicherlich wenigstens eine affektbestimmte Aussage bedienen kann. Und die kommt dann auch flugs. Die Aussage, die herbeigeführt wird, lautet: "das kleine Österreich ist eine kulturelle Großmacht."

In der Gegenüberstellung des klein zur Größe von Großmacht wird Überwindung suggeriert. Das "klein" des Staatsgebiets wird auf der geistigen Ebene überwunden. Fläche wird hier zu Kultur in Beziehung gesetzt. Die Kultur als Fläche der Überwindung und der Eroberung. Österreich wird durch diesen Sprung vom Raum in die Kultur eine Großmacht. Das ist nationale Rhetorik. Ein Nachteil wird in überwertiges Selbstgefühl gewendet. Klein. Ja. Das ja. Aber kulturell: oho. Und wie in nationaler Rhetorik so üblich, beruht das Gefühl der Größe auf Übertreibung.

Weitergeführt wird dieses nun ein wenig anerotisierte Phantasma vom kleinen Land, das aber eine kulturelle Großmacht ist, in den Satz: "Der Koffer ist eine patriotische Parallelaktion:" Von der kleinen Altherrenfantasie des "klein, aber oho" geht es nun stracks in die Verschiebung der Erotik in das Vaterländische. Der Koffer, der zeigt, dass Österreich zwar klein, aber eine kulturelle Großmacht ist, ist eine patriotische Parallelaktion. Patriotisch. Das heißt immer noch "vaterlandsliebend" und ist die Versammlung der Emotion hinter der Nation.

Vaterlandsliebe ist immer eine Entscheidung gegen die Person. Die Liebe zum Vaterland, die uns ja bis zuletzt von der scheidenden Außenministerin abverlangt worden war. Diese Liebe trägt immer den Anspruch auf das Leben des oder der Liebenden. Vollständige Hingabe in diese Liebe stellt erst die Möglichkeit her, diese Liebenden in den Tod zu schicken. Im Begriff Vaterlandsliebe ist Krieg schon enthalten. Ja, intendiert. Der Koffer, der zeigt, dass Österreich zwar klein, aber eine kulturelle Großmacht ist, ist also eine das Vaterland verteidigende Parallelaktion.

Hier wird es nun eindeutig, wenn Politik und Literatur als die beiden Linien der Parallele eingesetzt werden. Mit der Beifügung patriotisch wird diese Parallele für die Politik und die Literatur vaterländisch liebend hingegeben, das Vaterland verteidigende Hingabe. Ein solches Vaterland wird ja immer gefährdet gesehen, damit die liebende Verteidigung bei den Liebenden abgerufen werden kann. Also wird der Koffer, mithilfe dieser vaterlandsliebenden Parallelaktion das Vaterland verteidigend und damit überhaupt erst herstellend zeigen, dass Österreich zwar klein, aber eine kulturelle Großmacht ist.

In der Logik der Vaterlandsliebe wird der Nachweis der kulturellen Großmacht dann beweisen, dass es Österreich gibt. Dass die Politik parallel zur Literatur läuft. Das ist eine rhetorische Gedankenfigur, die in diesem Text die Aufgabe hat, das Kulturelle herzustellen. Politik und Literatur laufen nebeneinander. Die Verwendung der Parallele als Beschreibung des Verhältnisses von Politik und Literatur ergibt - ich nehme doch an, unwissentlich - den einzigen Einschluss von Realität. So wie die Linien einer Parallele einander nie treffen. Bis in die Unendlichkeit nicht.

Nach dieser Beschreibung des Austrokoffers bedürfte Österreich zum Nachweis seiner Existenz des Patriotismus seiner Literaten parallel zur Politik, wobei die Literatur sich nach der Politik richtet. So kann man sich das vorstellen. So hat man sich das in den 30ern schon einmal vorgestellt. Mit Realität hat das - noch - nichts zu tun. Die Größe von Österreich ist im gegenwärtigen Europa ein Teil der statistischen Beschreibung. Eine Besinnung auf die eigene Identität sollte zu einer selbstverständlichen Sicherheit führen, die sich nicht mehr kämpferisch gockelnd geben muss.

Dazu würde dann gehören, dass eine Gesellschaft sich klar wird, was an Kultur sie will. Das wieder würde bedeuten, dass die Rahmenbedingungen für Kultur hergestellt werden. Eine Regierung, die Autoren und Autorinnen zu Kleinunternehmern ohne Unternehmen in unklaren Versicherungsverhältnisse macht, schafft keine Rahmenbedingungen, die Kultur fördern. In der Literatur wird es immer schwieriger, einen Anfang zu gestalten. Das heißt, dass es irgendwann keine Literatur mehr geben wird.

In Österreich leben und Literatur schreiben zu wollen wird einfach nicht mehr funktionieren. Es sei denn, es finden sich die Parallelen doch. Gegen alle Gesetze. Es könnten die wunderbarsten Rahmenbedingungen hergestellt werden und die patriotische Parallele in die ganz normale Arbeit von Politik übergeführt werden, in der die gesellschaftlichen Bedingungen für die Leben sozial, gerecht und alle fördernd gedacht sind. Oder. Und das werden wir demnächst antreffen.

Die Politik entwickelt das Modell der Parallele weiter: Die Politik hält sich Autoren und Autorinnen. Sprachrohre der Politik in einer patriotischen Parallelaktion. In der paradoxen Benennungspolitik rechter Politsprache kommt dann das zur Erscheinung, was früher beschimpft wurde: Der Staatsautor. Die Staatsautorin. Staatskünstler. Wie gesagt. Eine einzige patriotische Parallelaktion. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.9.2004)