Ein bilderstarker witziger Abend, bei dem Dirigent Ingo Metzmacher für ein hohes Musikniveau sorgte

Foto: Hamburgische Staatsoper
Dunkel ist das sternenglänzende Weltall, sehr dunkel, wunderschön und unberührt wie vor dem ersten Schöpfungstag. Doch mitten in den kosmischen Nebeln hockt ein in einen zotteligen Schaffellmantel gehüllter Schrat hinterm Schreibtisch, spannt Blatt um Blatt in seine Reiseschreibmaschine und hackt drauflos. Erst begeistert, dann stockend, schließlich resignierend. Wütend wirft er das nächste Knäuel auf den sich türmenden Papierberg.

Wüsste man nicht, dass der Mann Moses ist, man müsste ihn für Sisyphos halten. Moses müht sich für seine Israeliten die Zehn Gebote des göttliches Gesetzes zu verfassen, nachdem er ihnen zuvor mit propagandistischer Hilfe seines Bruders Aron den Gedanken des "einzigen, ewigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren und unvorstellbaren" Gottes nahe gebracht hat.

Doch kein Gott gibt ihm jetzt zu sagen, was er schreiben soll. Sein Gott ist tot, und es wird nicht lange dauern, und er geht in Geld über. Wie Peter Konwitschny das kleine Intermezzo zwischen erstem und zweitem Akt von Moses und Aron illustriert, ist exemplarisch für die bisweilen urkomische, höchst anschauliche und selten um einen szenischen Witz verlegene Art, mit der er Schönbergs Bekenntnisdrama über das jüdische Bilderverbot vom Überbau auf die gesellschaftliche Basis herunterholt.

Konwitschny erzählt Moses und Aron als weitere Geschichte aus der gescheiterten Ideenproduktion. Nachdem der Hirte Moses die Geschäftsidee nicht aus dem brennenden Dornbusch, sondern aus dem Blöken seiner Schafe empfangen hat, sucht er Aron in dessen Küche auf, erläutert ihm die Unternehmensphilosophie ("Reinige dein Denken") und engagiert ihn als Öffentlichkeitsarbeiter.

In der schmucklosen Kantine, in deren Zentrum ein Cola-Automat irdische Verheißungen versinnbildlicht (Ausstattung: Johannes Leiacker), muss die aufsässige Belegschaft des VEB Moses Glaubensfabrikation mühsam auf das neue Produkt eingeschworen werden. Denn an das, was sie nicht sehen können, wollen die Werktätigen auch nicht (mehr) glauben. Die Zeiten, als das anders war, suggeriert Konwitschny, sind noch gar nicht so lange her.

Der Hokuspokus, den der standesgemäß im Cordanzug auftretende Gewerkschaftssekretär Aron zum Zwecke der Überwältigung veranstaltet, dürfte allerdings selbst mit dem sozialpartnerschaftlichsten Mitbestimmungsmodell schwer vereinbar sein. Und obwohl Reiner Goldbergs grandioser Aron über sämtliche Stimmmittel der Verführung virtuos gebietet, ist sein Erfolg von kurzer Dauer.

Denn immer noch kommt erst das Fressen, und dann kommt die Moral. Auserwählt und frei ist dieses Volk, wenn die Essensausgabe beginnt. Moses' gleichsam struktureller Nachteil ist, dass er zwar denken, aber nicht reden kann. Musikalisch bedeutet dies, dass er nicht singen, sondern bloß sprechsingen kann. Das tut er in Gestalt von Frode Olsen zwar eindrucksvoll, aber in der Welt des Konsumwahns ist einer wie er ein wunderlicher Kauz von hinter den sieben Bergen.

Auch der Tanz ums Goldene Kalb ist weniger ein orgiastischer Ausbruch gegen seinen ungreifbaren Gott als vielmehr organisierte Animation von Gelangweilten. Gegen diese Bilderorgie können sich Ingo Metzmacher und sein bestens präpariertes und ungewohnt konzentriert musizierendes Orchester glänzend behaupten. Sie erarbeiten die filigrane Motivik der Partitur mit Akribie und Raffinesse und vermögen dem eher kühl-distanzierten Idiom eine Fülle klangsinnlicher Valeurs abzugewinnen.

Und weil der eigentliche Protagonist, der riesige Chor, schlicht Großartiges leistet, gerät die zehnte Hamburger Zusammenarbeit von Metzmacher und Konwitschny zum akklamierten Triumph - für Arnold Schönberg. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 11. 2004)