Wiederaufnahme eines Klassikers an der Wiener Staatsoper: "Dörn- röschen" oder das unwiederbringlich Verflossene.

Foto: Staatsoper
Wien/Salzburg - Die finstere Fee Carabosse ist grantig. Man hat vergessen, sie zur Taufparty der Prinzessin Aurora einzuladen. Also rauscht sie zum großen Schreck aller anwesenden Gäste in Gewitterstimmung an. Wir wissen, wie das Märchen vom Dornröschen endet. In dem gleichnamigen Ballett, das Marius Petipa einst, im Jahr 1890, in St. Petersburg vorstellte, ging es auch weniger um die Geschichte selbst - vielmehr um die Erzählästhetik des Balletts.

Wobei wir, wenn wir jetzt die Wiederaufnahme dieses Klassikers in der Wiener Staatsoper sehen, weniger über Petipa lernen, sondern uns an einer 1981 entstandenen Fassung des Engländers Peter Wright delektieren. Wright hielt sich bereits an eine Adaption des Originalwerks, komponierte Elemente anderer Choreografen und von sich selbst dazu.

Was heute also als klassisches Ballett degustiert wird, ist eigentlich proto-postmodernes Patchwork, eine Geste des Hinweises auf unwiederbringlich Verflossenes. Das ist im Grunde hoch interessant. Ernüchternd wirkt nur die Genügsamkeit dieser Geste, die die multiple Autorschaft der aktuellen Aufführung schamhaft versteckt.

Heute ist auch weniger die modernistische Neuformulierung von Ballettklassikern im Stil von Mats Ek gefragt, sondern eher die Befragung einer Geschichte von Erzählweisen, wie sie etwa in der Vorwoche von der US-Amerikanerin Jennifer Lacey in Salzburg vorgeführt wurde.

Grandioses Solo

In ihrem grandiosen Stück two discussions of an anterior event, das als Abschluss des Festivals tanzhouse zu sehen war, reflektierte die Choreografin ein Solo, das sie vor neun Jahren uraufgeführt hatte: in einer intelligenten Struktur aus Video, Text und einem choreografischen Counterpart.

Dieses Stück ist nicht weniger herausfordernd als die diskursive Arbeit der französischen Gruppe Quatuor Albrecht Knust über Vaclav Nijinskis L'près-midi d'n faune, die 2000 in Wien zu sehen war. Fazit: In der zeitgemäßen Präsentation von Ballettklassikern gibt es noch viel zu tun. Das Abspulen von historischen Adaptionen allein reicht nicht mehr aus. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2004)