Die Situation ist konstruiert, keine Frage, und auf das Szenario der Katastrophe soll da jetzt genauso wenig eingegangen werden wie auf logistische Probleme, die im Zuge aufkommender Panik zwangsläufig Faktum wären. Die Problematik soll schlicht auf den Punkt reduziert sein, dass man noch einmal in seinem Leben essen kann, bei vollem Bewusstsein und intakter Gesundheit, und dass es sein kann wo immer auf dieser Welt.

Wohin geht man, wo lässt man sich nieder? In einem der tollsten und besten Restaurants, von dem man gehört hat, in dem perfektes und aktuellstes Küchenhandwerk geboten werden, also etwa Ferran Adriàs El Bulli in Rozas an der spanisch-französischen Grenze, Heston Blumenthal in Bray an der Themse, Charly Trotter in Chicago, Thomas Kellers French Laundry im Napa Valley, Alain Ducasse in Paris und so weiter und so fort?

Nun, solche Restaurants haben es bis auf wenige Ausnahmen an sich, eine eher formelle Atmosphäre aufzuweisen, was bei einem allerletzten Dinner vielleicht ein bisserl frustrierend sein kann. Abgesehen davon ist dann nicht nur die Erwartungshaltung derart hoch, dass sie umso leichter enttäuscht werden kann (schon oft genug erlebt, ohne dass es mein letztes Essen gewesen wäre), außerdem hätte man in dieser Situation und bei solch einer Restaurant-Wahl immer das Gefühl, vielleicht nur den zweit- oder drittbesten Koch der Welt aufgesucht zu haben, und das könnte in solch einer Situation vielleicht ein bisserl ein Stress sein.

Okay, aber wie wär’s mit Stammlokal, einem Platz, wo man immer schon gerne hingegangen ist, sich warm und zu Hause fühlt, die Menschen trifft, die man kennt und schätzt? Schlechte Idee, denn die Sentimentalitäts-Attacke wäre nicht nur unvermeidlich, sondern unüberbrückbar. Tränen würden fließen ohne Ende (außer man betrinkt sich ohnehin gleich so sehr, dass man über seinen Aggregatszustand nicht mehr Bescheid weiß), das Abendmahl würde zu einem einzigen gastronomischen Abschied werden – unerträglich!

Zu Hause bleiben und mit lieben Freunden kochen und essen? Na ja, sonst gerne, aber die Biedermeierlichkeit hat auch ihre Grenzen, würd’ ich sagen. Verkriechen in den Kokon wäre zwar eine Lösung, aber nicht gerade eine würdige, abgesehen davon, dass der Zubereitung der Speisen womöglich nicht ganz die Aufmerksamkeit zukommen würde, die sie verdienen und die sie zum Genuss machen würden; andererseits könnte man dann endlich den 82er Margaux aufmachen, den man für den ganz besonderen Fall aufgehoben hat – allerdings ist auch hier die Gefahr der Enttäuschung enorm, ich sage nur Kork, falsche Lagerung und gefälschte Flasche. Ein Etablissement, in dem womöglich noch eine zweite Flasche der letzten Wahl vorrätig ist, sei daher für den finalen Schluck dem heimischen Sofa vorzuziehen.

Mein letztes Essen würde, hätte ich die Wahl, laut derzeitigem Stand jedenfalls in dem Pariser Bistro „Chez L’Ami Louis“ stattfinden. Das soll jetzt weder großspurig oder gezwungen kosmopolitisch klingen, allerdings sprechen mehrere Faktoren sehr dafür: Beim Ami Louis kocht man seit ungefähr siebzig Jahren mehr oder weniger ident herrlich und zwar große Portionen aus exorbitant guten Zutaten nach vergleichsweise einfacher Rezeptur (in Butter braten/schmoren); die Atmosphäre ist dermaßen locker, das Publikum international gut durchmischt, die Stimmung nicht nur aufgrund der gebotenen Qualität aufgekratzt euphorisch, sondern vor allem auch deshalb, weil die Preise beim Ami Louis derart hoch sind, dass man sich ein irres Kichern nur schwer verkneifen kann. Zum etwa sieben Zentimeter hohen, in Butter märchenhaft saftig gebratenen Kalbssteak (das das beste Kalbssteak meines Lebens war und bis heute immer noch ist) gab es Pommes frites, wie man sie eigentlich nicht für möglich hielt, die Schnecken mit Knoblauch und Butter waren so herrlich und groß, dass man singen mochte, die Desserts so simpel und pur (Beeren-Torte!!!), dass man sie nur schwerlich vergessen konnte. Der Nachteil: Die Preise exorbitant (grundsätzlich nur runde, hohe Summen) und die Tatsache, dass einem nachher schlecht ist, einigermaßen gewiss. Aber was soll’s, letzter Tag und man zahlt eh mit Kreditkarte (ha, ha), und wenn einem dann später die schiere Menge des Dinners auf den Magen schlagen sollte, ist’s auch egal, weil’s ja eh keinen Magen mehr gibt.

Also, sollte mich am Abend des Weltuntergangs wer suchen, bin ich in der Rue du Vertbois 32. Hoffentlich fällt Armageddon nicht auf einen Montag oder Dienstag, weil da hat der Ami Louis zu.