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"Her mit der Knete, oder es knallt": Barbarella weiß, wie man kriegt, was Mailath-Pokorny offenbar braucht.

Foto: APA/Jäger
Eine Theaterreform, die niemandem wehtut, ist undenkbar. Begünstige jubeln, Verlierer klagen - das liegt in der Natur der Sache. Den Mitgliedern der Wiener Theaterjury ist auch durchaus nicht abzusprechen, dass die Ergebnisse ihres Gutachtens sich im Rahmen des ihnen erteilten Auftrages bewegen.

Wahrscheinlich aber ist genau das zugleich einer der Schwachpunkte: Alle Argumentationen in diesem Gutachten standen bereits in der Studie über "Freies Theater in Wien", keine dieser Argumentationen wurde nochmals kritisch hinterfragt und selbst einmal "evaluiert".

Es fällt schwer, in den Jubel aller jenen gelangweilten Wiener Theaterkritiker mit einzustimmen, die seit Jahren im Prinzip das gefordert haben, was nun als Ergebnis der Theaterjury vorliegt. Und das ist ein weiterer, wesentlicher Schwachpunkt der ganzen Theaterreform:

Was Kritikern gefällt, ist nicht unbedingt identisch mit dem, was auch beim Publikum gut ankommt (und ich spreche hier durchaus von einem interessierten Theaterpublikum, das ohnedies selbst eine Minderheit ist). Wer - wie der Schreiber dieser Zeilen - selbst einmal Mitglied einer Wiener Theaterjury war, weiß um die Leidenskraft, die einem abgefordert wird, wenn man regelmäßig alle Veranstaltungen der Wiener Klein-und Mittelbühnenszene abklappern muss.

Dass einen Kritiker nach vielen Jahren der Tätigkeit so gut wie nichts mehr überraschen kann, dass man alles in irgendeiner Form schon einmal gesehen hat und sich häufig langweilt, ist normal und durch keine Theaterreform zu beseitigen. Leider sind auch Kritiker - so wie manche der heftig gescholtenen Mittelbühnen-"Denkmäler" - zu Denkmälern ihrer selbst erstarrt. Ironisch könnte man sagen: Nicht nur eine Reform der Theater tut Not, sondern auch eine der Kritik. Es wäre doch interessant, einmal die Kritiker denselben Kriterien zu unterwerfen, wie die von ihnen berufsmäßig Kritisierten: also alle paar Jahre eine Ausschreibung und Vorlage von interessanten Konzepten, die aufzeigen, wie neue Formen innovativen Herangehens an die Kritik entstehen können. Dazu eine regelmäßige Evaluierung durch eine Expertenkommission von Theaterschaffenden. Zugegeben: Das würde die Subventionsprobleme nicht lösen - aber vielleicht dazu führen, die Selbstgewissheit der Urteile über die Theaterszene ein wenig zu reduzieren.

Es soll hier nicht auf einzelne Juryentscheidungen eingegangen werden, denn jedes - wie immer geartete - Votum einer Jury ist angreifbar. Auch das liegt in der Natur der Sache. Was jedoch auffällt, ist ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen dem Aufwand, der für die Vergabe eines vergleichsweise lächerlich Betrages getrieben wird, und jenen Summen, die in der Wiener Szene freihändig und ohne Ausschreibung unter die Leute gebracht werden. Angesichts der Geldmengen, die etwa rund um das Musical in Bewegung sind, wirkt der Reformaufwand für ein 10-%-Segment nachgerade grotesk.

Man kann über die Theaterreform leider nicht sprech- en, ohne auf die Musicalsubventionierung zu verweisen. Denn offenbar herrscht unausgesprochen folgende Doktrin vor: Das Sprechtheater im "herkömmlichen" Sinn (im Jurypapier "literarisch orientiere Aufführungspraxis" genannt) wird weit gehend von den großen Sprechbühnen abgedeckt, der Kommerz fürs breite Publikum findet im Musical statt, und die freie Szene ist nur mehr für alle Formen von Experimenten zuständig.

Interessant daran ist, dass einerseits bei den Musicals immer mit den großen Besuchermengen argumentiert wird (und damit einhergehender Umwegrentabilität - wie groß der Umweg ist, lässt sich nur erahnen!), während andererseits beim freien Theater das Publikum offenbar überhaupt kein Kriterium ist.

Publikum egal?

Insbesondere die so hochgelobten spartenübergreifenden Theaterformen haben - nach meiner, zugegeben statistisch nicht relevanten, Beobachtung - nicht gerade das Zeug zum Publikumsrenner, während einige jener Bühnen, die dem "Herkömmlichen" verpflichtet sind, durchaus ihr Publikum haben. Hier scheint es doch so zu sein, dass gerade im Sprechtheater der Kahlschlag etwas zu rigoros eingeleitet wird. Das Publikum ist nicht alles, aber ohne Publikum ist das ganze Theater nix!

Merkwürdig ist auch, dass eine nicht unwesentliche Frage völlig ausgeklammert blieb: Durch die drastische Verringerung der Spielstätten im Bereich des Sprechtheaters wird es deutlich weniger Möglichkeiten für junge Schauspieler/ innen geben, erste Erfahrungen zu sammeln, die ersten Schritte in die Welt des Theaters zu machen. Eine der Ideen der breiten Förderung möglichst vieler Produktionsorte und -möglichkeiten war doch auch, dass nur aus der Breite auch die Spitze entstehen kann. Ob es ein besonders gelungener Beweis sozialdemokratischer Kulturpolitik ist, diese Breite zu zerstören, wäre gesondert zu diskutieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2004)