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AP Photo/Katsumi Kasahara
Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, warum man überhaupt eine gastronomische Stätte besucht: Zum Beispiel, weil das TV-Programm so schlecht ist; oder weil man heute mal zu faul zum selber kochen ist; oder weil man zwar nicht zu faul wäre, aber weil sich im Eiskasten gerade nichts Ordentliches finden lassen will; oder weil einen dieses neue Lokal, von dem man gehört hat, einigermaßen interessiert; oder durch Zufall, oder aus hundert anderen Gründen.Einer der wesentlichen dürfte jedoch soziale Ursachen haben, also dass man sich unter Menschen mischen und in gewissem Ausmaß sozial interagieren möchte.

Dazu ist ein Lokal auch wirklich ein geeigneter Platz, nur gibt’s halt keine offiziell gültigen Parameter dafür, wann soziale Nähe angenehm und wann unerträglich ist. Manche lieben es, bei Tisch ins Gespräch mit den Bewohnern vom Nebentisch zu kommen, manche kriegen schon eine Gänsehaut, wenn sie nur daran denken, dass sie von einem anderen Gast beim Vorbeigehen berührt werden könnten; manche empfinden lebhafte Gesprächskulisse als Musik in ihren Ohren, andere sehnen sich nach wattegedämpften Zwischenwänden; manche können sich königlich über die Gespräche am Nebentisch amüsieren, andere fallen in Depressionen. Ja ja, das Spektrum ist weit, und kaum ein Gastronom hat sich da bis heute wirklich darüber Gedanken gemacht (als Ausnahme sei hier wieder der fantastische Heinz Hanner genannt, der in seinem Restaurant drei Jahre lang Verhaltensforschung betrieben hat, Lärm-, Geruch- und Aura maß, und so versuchte, den idealen Tischabstand zu eruieren – was aber zum Beispiel hinfällig wird, wenn am Nebentisch ein paar Schwerhörige, Betrunkene oder Verhaltensauffällige sitzen).

Unlängst ergab sich etwa der Fall, dass in einer jungen und äußerst lobenswerten Bar mit großem Angebot erstklassiger Tequilas und dazu auch noch ein paar Exemplaren hervorragender mexikanisch-europäischer Fusionsküche, nur mehr ein Tisch frei war, der auf den ersten Blick auch gar keine Nachteile aufzuweisen schien. Auf den zweiten Blick schon. Am Tisch rechts davon wurde nämlich gerade eine fünfjährige Beziehung beendet (wobei ich mich nur durch kontinuierliches Essen und Trinken davon abhalten konnte, Partei zu ergreifen und der jungen Frau zu gratulieren, dass sie diesen eitlen Pseudo-Yuppie endlich los ist), am Tisch links von dem meinen versuchte indes ein älterer Herr lautstark mit Sponti-Sprüche aus den 80er-Jahren bei seiner Tischgefährtin zu punkten, die sie allerdings nicht verstand und er sich daher bemüßigt fühlte, sie zu erklären (was bei Sponti-Sprüchen zwangsläufig scheitert; und womit zu Tage trat, dass er sie eigentlich auch nie richtig verstanden hatte – es hieß nämlich richtig: „Lieber Sydney Rome als Paris Dakar“ und nicht „Was ist besser: Sydney Rome oder Paris Dakar?“). Eine Verkostung diverser Tequilas lenkte ein bisschen ab, aber leider nicht sehr. Das sind dann die Augenblicke, in denen man die Architektur alter irischer Pubs zu verstehen lernt, mit ihren kleinen, verschwiegenen Nischen oder mit ihren eigenartig anmutenden, kobel-artigen Trennwänden an der Theke. Und darf man eigentlich einen Paravent mit ins Lokal nehmen?