Ein überfluteter Friedhof in Bosnien.

Foto: SRDJAN ZIVULOVIC

Belgrad/Sarajevo/Zagreb - Keine Atempause für die Bewohner der Flutgebiete in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien: In der Nacht auf Dienstag mussten erneut tausende Menschen ihre Häuser verlassen. Die kroatischen Behörden bestätigten inzwischen ein zweites Todesopfer. Insgesamt kamen bisher in den drei Ländern mindestens 47 Menschen ums Leben, einige werden noch vermisst.

Die österreichische Bundesregierung beschloss, Bosnien-Herzegowina und Serbien mit einer Million Euro zu helfen. Der Beschluss wurde am Dienstag im Ministerrat gefällt, die Mittel stammen aus dem Auslands-Katastrophenfonds. Sie sollen österreichischen NGOs zur Verfügung gestellt werden.

"Finsterste Prognosen"

In Belgrad und anderen serbischen Städten entlang des Flusses Save wurde eine weitere Flutwelle erwartet, Einsatzkräfte arbeiteten mit Hochdruck daran, die Uferbefestigungen zu verstärken. In Belgrad ist auch ein Anstieg des Donau-Pegels zu erwarten. Im Stadtviertel Zemun wurde am Flussufer auf einer Länge von 650 Metern ein 1,2 Meter hoher Schutzdamm aus Sandsäcken errichtet.

Belgrad sei auch auf die "finstersten Prognosen" des Wasseranstiegs vorbereitet, versicherte Bürgermeister Sinisa Mali. In der Hauptstadt wurden an der Save und der Donau Schutzdämme auf einer Gesamtlänge von 5,5 Kilometern errichtet. 350.000 Sandsäcke wurden bereits geschlichtet, weitere 50.000 stünden noch zur Verfügung, sagte Mali.

Die Prognosen des hydrometeorologischen Dienstes weisen laut dem Bürgermeister jedoch darauf hin, dass weder die Donau noch die Save in der serbischen Hauptstadt ihre historischen Höchstwerte erreichen werden. Von den Hafenbehörden in Belgrad wurde daher auch kein Schifffahrtsverbot auf den beiden Flüssen erlassen.

Minengefahr

Die Gefahr von hochgespülten Minen besteht weiter. Alma Al-Osta, Expertin für Landminen bei der Organisation Handicap International, rief die Menschen zur Vorsicht auf. "In überfluteten Gebieten wissen wir also nicht mehr, wo Minen zu finden sind, und wir wissen auch nicht, wo und wie wir danach suchen sollen. Zwei Ratschläge werden derzeit an die Bevölkerung ausgegeben: Wenn sie ihre Häuser und Wohnungen säubern, müssen sie sehr vorsichtig sein - und sie sollen nicht durchs Wasser waten", sagte Al-Osta.

Opferzahl dürfte weiter steigen

In Kroatien überschwemmte die Save mehrere Dörfer, in Bosnien-Herzegowina mussten etwa 11.000 Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. Etwa eine Million der 3,8 Millionen Einwohner des Landes ist Behördenangaben zufolge von den Überschwemmungen betroffen. Hunderte Erdrutsche verursachten zusätzliche Zerstörung.

In Serbien mussten etwa 10.000 Bewohner der besonders stark betroffenen Kleinstadt Obrenovac ihre Häuser verlassen. Die Behörden gingen davon aus, dass die Zahl der Toten in der Kleinstadt südwestlich von Belgrad weiter ansteigen dürfte. Serbische Helfer befürchten weitere Überschwemmungen, die Flutwelle der Save sollte im Laufe des Dienstags in Belgrad die Donau erreichen.

Serbien vernichtet Tierkadaver

Probleme bereiten derzeit auch die Kadaver der Tiere, die im Hochwasser gestorben sind. Wegen fehlender Anlagen in Bosnien sollen sie in Serbien vernichtet werden. Serbiens Regierung hat dies auf Antrag Bosniens heute, Dienstag, beschlossen.

Eine fehlende Lösung hätte die Situation nicht nur in Bosnien, sondern auch in Serbien gefährdet. Der Import nach Serbien sei daher die einzige mögliche Lösung gewesen, erläuterte die Landwirtschaftsministerin Snezana Bogosavljevic Boskovic. Entsprechend den Gesetzesregelungen ist dies zwar nicht erlaubt, die Regierung konnte den Kadaverimport allerdings angesichts des vor Tagen verkündeten Notstandes genehmigen, präzisierte die Ministerin.

Die konkreten Kadavermengen waren zuerst nicht bekannt. In Serbien, wo die systematische Vernichtung von Tierkadavern am Wochenende begonnen hatte, war alleine am Sonntag von 100 Tonnen die Rede.

Massive wirtschaftliche Folgen

Die Hochwasserkatastrophe in Bosnien-Herzegowina und Serbien hat auch massive wirtschaftliche Folgen. Schwer betroffen sein dürfte die Landwirtschaft, auch Fabriken sind beschädigt. Erst Schätzungen gehen laut Ö1-Mittagsjournal von wirtschaftlichen Schäden von bis zu 3 Mrd. Euro aus.

In Bosnien-Herzegowina habe das Hochwasser nach ersten vorsichtigen Schätzungen einen Schaden von 1 bis 2 Mrd. Euro angerichtet, so der österreichische Botschafter in Sarajevo, Martin Pammer. In Serbien werde der Schaden auf bis zu 1 Mrd. Euro geschätzt, so Wolfgang Wagner, Gesandter an der Botschaft in Belgrad, laut ORF-Radio.

In Bosnien reichten die Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe, vor allem die wirtschaftlichen Folgen, an die Dimension der Folgen des letzten Krieges heran, so Pammer. Die Landwirtschaft sei in den betroffenen Gebieten im Nordosten des Landes und im Norden sowie in Zentralbosnien schwer in Mitleidenschaft gezogen, im Nordosten und in Zentralbosnien könne heuer nicht mit Ernten gerechnet werden. Zu beschädigten Industrieanlagen verwies Pammer auf Betriebe etwa Gracanica, die vor kurzem erst aufgebaut worden seien und in denen durch die Überschwemmungen technische Geräte und Ausstattung zerstört worden seien.

In Serbien sind nach ersten Schätzungen mehr als zehn Prozent der landwirtschaftlichen Anbauflächen - rund 2.500 von 15.000 Hektor unter Wasser. Der Schaden in der serbischen Landwirtschaft von der serbischen Regierung auf mindestens 500 Mio. Euro geschätzt,

Geld von Djokovic und Österreich

Der serbische Tennisstar Novak Djokovic spendete das Preisgeld seines Sieges beim Masters-Series-Turnier in Rom, um Flutopfern in seinem Heimatland zu helfen. Dies teilte seine Stiftung mit. Die genaue Summe wolle er nicht angeben, sagte Djokovic serbischen Medien. Der Tennisverband ATP gibt das Preisgeld in Rom mit 549.000 Dollar an. Insgesamt seien etwa 600.0000 Dollar (438.000 Euro) an Spenden eingegangen, erklärte die Stiftung. Damit sollen Kindergärten und Schulen wiederaufgebaut werden.

Die serbische Regierung hat indes eine dreitägige Trauer ausgerufen. Mittwoch, Donnerstag und Freitag würden als Trauertage begangen werden, erklärte Regierungschef Aleksandar Vucic. Er bedankte sich bei der Regierungssitzung erneut ausdrücklich bei Österreich und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der eine Million Euro aus dem Hilfsfonds für Katastrophenfälle im Ausland versprach. Auch zwölf "Fließwasserretter" aus Kärnten, Tirol und Salzburg fuhren am Dienstag ins bosnische Hochwassergebiet, um die Feuerwehren dort zu unterstützten, nachdem zuvor 50 Helfer zurück nach Österreich kehrten.

Ausgelöst worden waren die schweren Überschwemmungen am Balkan von heftigem Regen: In den drei Balkan-Ländern hatte es innerhalb von drei Tagen so viel wie sonst im gesamten Monat Mai geregnet. Die Flutkatastrophe gilt nach bosnischen Regierungsangaben als die schwerste seit Beginn der Aufzeichnungen. (APA/red, derStandard.at, 20.5.2014)