Nach "Fidelio" ist sie "erschöpft von der ganzen Emotion": Dirigentin Julia Jones.

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Wien - Der Großvater besaß ein Klavier, abends setzte man sich in der Arbeiterfamilie zusammen und sang Lieder, es gab noch kein Fernsehen. Der Vater spielte auch, schaffte sogar Chopin-Balladen, die Tochter erhielt mit fünf Jahren ersten Klavierunterricht von der Großmutter der besten Freundin, einer stilvollen Dame mit Hut. Das Kind spielte und spielte und studierte bald Korrepetition an der Universität von Bristol und am National Opera Studio in London.

Nach dem Abschluss Mitte der 1980er-Jahre ging es nach Deutschland. "Ich wollte nach Italien, ich liebte Italien", erzählt Julia Jones. "Aber es gab keine Stellen dort." In Deutschland bekam sie gleich drei angeboten, sie entschied sich für die Kölner Oper: "Ich konnte dort mit sehr guten Sängern arbeiten: Gwyneth Jones, Anne Murray, Placido Domingo." Bei ihren Diensten als Beleuchtungskorrepetitorin saß sie oben im Stellwerk, hörte manche Opern zehn-, 20-mal, las in der Partitur mit. Nicht nur Deutsch war neu für sie, sondern auch die meisten Opern: "Ich kannte nichts."

Mit Fleiß arbeitete sie sich in die Materie ein, nach Köln dann in Stuttgart, und dirigierte auch immer mehr. Ihre erste Stelle als Dirigentin bekam sie als zweite Kapellmeisterin in Ulm. Herbert von Karajan, der stets die Provinztheater als ideale Schule für einen Dirigenten lobte, war einer ihrer Vorgänger: "Er war fast sieben Jahre lang dort." In Ulm traf Julia Jones auch auf einen jungen Mann, der später Musikdirektor der Pariser Oper und Chefdirigent der Wiener Symphoniker werden sollte: "Philippe Jordan war damals 18 und talentierter als die meisten. Ich hatte das Glück, ihn als Korrepetitor engagieren zu können."

Das Gespräch mit der in Straßburg lebenden freien Dirigentin - sie dirigierte zuletzt viel in Dresden und in Hamburg - findet in einem Kaffeehaus am Ring statt. Jones trinkt, so viel Britishness muss sein, Darjeeling mit Milch; ihre Direktheit wird durch Charme und Humor camoufliert, ihre Sachlichkeit ist von einer leichten Melancholie umflort. An wen erinnert sie einen nur? Genau: an die Serienkriminalistin Angela Lansbury.

Ein Lehrer riet ihr ab

Man spricht über ihre Anfangsjahre, und als Jones ihre dreißigjährige Freundschaft mit der Dirigentin Simone Young erwähnt, schließt man eine Frage um die Schwierigkeiten einer Frau in diesem Männerberuf an. "Schade! Ich habe gehofft, ich schaffe es in diesem Interview ohne dieses Thema", seufzt Jones. Eigentlich will sie nicht darüber reden. Dann aber doch. Ein Lehrer habe ihr abgeraten, diesen Beruf zu ergreifen: "Du wirst als Frau nie eine Stelle bekommen." Aber auch von Orchestermusikerinnen habe sie Ablehnung erfahren: Sie mache es ganz gut, aber ein Dirigent müsse eine Vaterfigur sein, hätte sie manchmal zu hören bekommen.

Über ihre Funktion als Mittelpunkt und Schaltzentrale einer musikalischen Produktion hat die Dirigentin eine demütige Sicht: "Ein Dirigent ist nichts ohne Musiker. Er wäre arbeitslos. Er ist bei weitem nicht so wichtig, wie manche denken." Und sie bricht eine Lanze für die Opernsänger: "Es ist einfach, als Kritiker bequem in einem Sessel zu sitzen und zu sagen: ,Diese Arie war schrecklich.' Das kann jeder. Aber es ist nicht einfach, an einem schlechten Tag auf die Bühne zu gehen und zu singen. Wenn man den ersten Ton verhaut, verhaut man auch den nächsten, und dann muss man noch die ganze Arie fertigsingen."

Mozart hat sich in Gesellschaft so wohl gefühlt wie ein Fisch im Wasser, Beethoven nicht so sehr. Ist Mozart die Gattung Oper deshalb auch leichter von der Hand gegangen als Beethoven? "Beethoven hat sich nicht als Opernkomponist gefühlt", meint Jones. "Er hat gesagt, die Musik, die er selbst im Kopf hört, ist symphonische Musik. Es lag ihm nicht so, Vokallinien zu schreiben. Er hat im Fidelio sehr viel überarbeitet und weggeschmissen."

Die Befragte und der Fragende sind sich schnell über die schönsten Stellen im Fidelio einig: das Quartett Mir ist so wunderbar im ersten Akt. "Ein großer Wurf. Ein Erlebnis, jedes Mal! Die Zeit bleibt stehen." Und die Freilassung der Gefangenen: "Da ist zuerst nichts, nur die tiefen Streicher. Die Welt ist öde und grau. Wir spielen da ohne Vibrato, um einen speziellen 'leeren' Klang zu erreichen. Dann kommen die Fagotte dazu, und es geht los." Zum Fidelio sagt Jones abschließend noch: "Es ist eine kurze Oper, aber man ist fix und fertig danach. Erschöpft von der ganzen Emotion." (Stefan Ender, DER STANDARD, 21.5.2014)