Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Contes d’Hoffmann - Jacques Offenbach
Staatsoper Wien, 23. Mai 2014. Wiederaufnahme

Bild: Oliver Schopf

Die Romantiker haben nicht nur die Abgründe unserer Seele ausgeleuchtet (manche würden sagen: verdunkelt), sondern auch unserer Zivilisation. Bei E.T.A Hoffmann wird beschrieben, dass ein "wunderliches Getöse aus Spalanzanis Studierzimmer herausschallte", gefolgt von Schreien: "So haben wir nicht gewettet – ich, ich hab’ die Augen gemacht – ich das Räderwerk – dummer Teufel mit seinem Räderwerk – verfluchter Hund von einfältigen Uhrmacher – Peipendreher." Olympia, Automat, Puppe, trügerisches Versprechen, wird vor den entsetzten Augen des Liebenden im Kampf zwischen ihren "Machern" entzaubert. Die Hybris wissenschaftlicher Allmacht prallt auf die Leichtgläubigkeit der Liebe. So eine Szene mag bei Erscheinen vor bald zwei Jahrhunderten als Ausdruck der inneren Zerrissenheit des Studenten Nathanael verstanden worden sein, heute muss sie anders rezipiert werden. In "Her", einem der erfolgreichen Filme der letzten Monate, verliebt sich ein Mann in eine weibliche Computerstimme; schon vor dreißig Jahren verwischte der Kultfilm "Blade Runner" die Grenzen zwischen Mensch und Replikat (letzteres verfügt über keine Empathie, woran es allerdings manch einen Homo sapiens auch mangelt. Wir haben inzwischen Angst, dass die Androiden tatsächlich "menschlicher als die Menschen" werden könnten, weswegen in der gegenwärtigen Produktion Roboter nicht allzu anthropomorph gestaltet werden. Die Olympia der näheren Zukunft wird charmant, intelligent und wohlklingend sein, aber nicht so ansehnlich wie in der Fantasie von Hoffmann und Offenbach.

Solche Entwicklungen reflektieren Andrei Serban (Inszenierung) und Richard Hudson (Ausstattung). Sie bieten geradezu eine Kulturgeschichte unserer Faszination mit Automaten samt den entsprechenden ästhetischen Reaktionen (Fritz Lang, Dr. Seltsam, die Surrealisten, Roald Dahl): ein riesiges Skelett samt Sonnenbrille, ein Räderwerk, ein Schaltpult, Schalter, Hebel, bedrohlich große, Glubschaugen. Allein die Harfe ist den Eintritt wert, vorgeblich gespielt von zwei an Spindeln befestigten Boxhandschuhen, der Corpus wie eine Art Tuba. Ein Labor aller (Un)Möglichkeiten, in dessen gläsernen Schränken alle ethischen Fragen weggeräumt sind. Und die Chorsänger, die Gesichter zu Grimassen geschminkt, starren wie unverbesserliche Voyeure auf dieses Irrenhaus humanen/humanoiden Fortschritts. So stimmig geht es weiter. In der dritten Szene tragen die Gondeln Velours, sie rollen auf die Bühne, samtige Fauteuils, auf denen sich das Verlangen rekelt. Das Licht der Taschenlampen ist so flackernd und unstet, es wird im Salon der Lust und Gier niemals Erleuchtung bringen.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Höhepunkt: Inszenierung und Bühnenbild gehören zu den besten im Repertoire der Staatsoper.

Coda: Was ich fast vergaß: die musikalische Darbietung der grandiosen Musik von Offenbach war (teilweise) eher mittelmäßig, aber wer braucht schon Musik, wenn … DICTATEPROFILE4 DELETE "aber wer braucht schon Musik". (Ilija Trojanow, derStandard.at, 26.5.2014)