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Roy Cornelius Smith (Florestan), Marcy Stonikas (Leonore).

Foto: APA/BARBARA PALFFY/VOLKSOPER

Wien - Es gäbe etwas zu feiern, meint der Inhaber des Lokals nahe der Volksoper: "Die Freiheitlichen haben sieben Prozent mehr." Am Abend der Europawahl spielt man Beethovens "Freiheitsoper" Fidelio, die wie kaum ein anderes Werk die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Kunst und dem wirklichen Leben aufwirft. Eines vorweg: Regisseur Markus Bothe geht dieser Frage nicht aus dem Weg. Im Programmheft sind kluge Sätze zu lesen - etwa darüber, wo das Gefängnis in der Gesellschaft angesiedelt ist.

Dass es eher um ein metaphorisches Oben und Unten geht, um den Gegensatz zwischen adretter Oberfläche und verborgener, weggesperrter Finsternis, macht auch das Bühnenbild (Robert Schweer) augenscheinlich. Die Gefängniswärterfamilie haust auf kitschgrünem Rasen, der wie ein Schrebergarten mit einem nicht weniger kitschigen Zaun umgeben ist. Die Flucht aus dieser engen Idylle ist ein zentrales Thema des ersten Aktes. Die Welt der Gefangenen liegt darunter und dahinter - unter merkwürdigen Klappen, hinter einer Himmeltapete.

Hier ist es trist und einförmig. Kaum weniger düster schmeckt allerdings die Freiheit, wenn die erlösten Insassen am Ende graue Einheitskleidung erhalten (Kostüme: Heide Kastler). An die Hoffnung mag Beethoven noch geglaubt haben, seine Musik knüpft sie manchmal an einzelne Worte und Akkorde. Das Volksopernorchester unter der Leitung von Dirigentin Julia Jones macht dies hörbar. Ganz unabhängig von der Frage, ob das Dreispartenhaus als Wiens musiktheatrale Wollmilchsau nun unbedingt auch noch dieses in mehrfacher Hinsicht heikle Werk stemmen muss: Musikalisch ist die Produktion, die am Sonntag Premiere hatte, nach Maßgabe der gegebenen Bedingungen rundweg gelungen.

Und zwar nicht nur deswegen, weil die beiden Protagonisten ihre Rollen mit weit mehr als nur mit Anstand bewältigen: Roy Cornelius Smith stellt der Gebeugtheit des Florestan metallische Kraft und Durchhaltevermögen entgegen, und Hausdebütantin Marcy Stonikas gelingt als Leonore/Fidelio im Anzugskorsett eine energiegeladene Abrundung der sperrigen Partie. Stringent und mit holzschnittartiger Präzision sind Tempo und Konturen im Orchester, die Phrasen sprechend durchgebildet, die Farben differenziert, mitunter strahlend, mitunter fahl - schneidend etwa die unheilbringenden Bläsereinsätze.

Das Spiel der Grausamkeit

Und auch die Personenführung ist um Plastizität bemüht: Gefängnisvorsteher Rocco (Stefan Cerny) ist kein plumper Bösewicht, sondern ein schwankender Befehlsempfänger und -anzweifler, der am Ende aus der Machtmaschinerie ebenso ausschert wie seine aufmüpfige Tochter Marzelline (Rebecca Nelsen). Jaquino (Thomas Paul) wird zum Emporkömmling, der am Ende vom Minister Don Fernando (Günter Haumer) zum Nachfolger des Gouverneurs Don Pizarro (Sebastian Holecek) gekürt wird, während Letzterer unter der Guillotine endet.

So viel Anklang an die Französische Revolution musste bei aller sonstigen Zeitlosigkeit also doch sein. Das politische Spiel der Grausamkeit wird so an der Volksoper immerhin drastisch anschaulich gemacht. (Daniel Ender, DER STANDARD, 27.5.2014)