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Noch-Parteiobmann Michael Spindelegger ist Symptom und nicht Ursache der VP-Misere.

Foto: APA/Hochmuth

Am vergangenen EU-Wahlsonntag feierte die ÖVP, als hätte sie die Wahl gewonnen, nachdem sie sich den gesamten Wahlkampf hinter ihrem Spitzenkandidaten Othmar Karas versteckt hatte. Ein gehaltener erster Platz genügte der selbsternannten Europapartei, um sich selbst darüber hinwegzutäuschen, dass sie gerade ihr schlechtestes Wahlergebnis in der Geschichte der EU-Wahlen in Österreich erreicht hatte. Trotz erneut schwacher Wahlbeteiligung und obwohl durch das Nichtantreten von Hans-Peter Martin und der Implosion des BZÖ mehr als 22 Prozent der Stimmen der EU-Wahl von 2009 zur Neuverteilung anstanden, schaffte es die ehemalige Großpartei, ein Ergebnis von satten minus drei Prozentpunkten einzufahren.

Nach einigen Tagen des Ausruhens auf Karas' Lorbeeren besinnt sich die Volkspartei nun jedoch auf eine bewährte Tradition: die Obmanndebatte. Welchen Verlauf diese auch immer nehmen wird, für innenpolitische Kurzweil ist in der näheren Zukunft jedenfalls gesorgt. Dass sich die Partei langfristig aus ihrem Elend entfesseln wird, ist allerdings nicht zu erwarten, denn von der Erkenntnis der Ursachen dieses Elends, die zu inhaltlicher Erneuerung führen könnte, ist man in der VP weit entfernt.

Denn selbst wenn der Parteiobmann ausgetauscht werden sollte, Michael Spindelegger ist letztlich nur Symptom und nicht die Ursache. Der Vorsitzende von Erwin Prölls Gnaden war schon mit dem Amt des Außenministers überfordert, und im Finanzressort macht er keine bessere Figur, wie erst kürzlich wieder angesichts der Posse um das heurige Budget offenbar wurde.

Einst soll die Volkspartei ja so etwas wie einen liberalen Flügel besessen haben, doch in der jüngeren Vergangenheit hat sich mit Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter ausgerechnet ein erzkatholischer Tiroler Bauernbündler als der Liberalste der Führungsriege entpuppt, was ihm reichlich innerparteiliche Anfeindungen beschert hat.

An inhaltlichen Debatten herrscht bei der Spitze der Konservativen kein Interesse, denn am Ende könnte man ja etwas verändern müssen. Bezeichnend dafür ist die Reaktion von Noch-Parteiobmann Spindelegger in einem Interview der "Kronen Zeitung" auf die Frage, ob Conchita Wurst mit ihrem Sieg beim Song Contest die Gleichstellung von Homosexuellen vorangetrieben habe: Es dürfe "in keiner Weise Diskriminierung geben".

Dies bedeutet für den Vizekanzler jedoch nicht, dass er nun diskriminierende Gesetze ändern will, denn: "Auf der anderen Seite braucht man aber auch nicht glauben, dass deswegen alles geht. Die Ehe soll trotzdem Mann und Frau vorbehalten bleiben, und auch das Recht auf Adoption." Spindelegger will offenbar den parteiinternen Diskurs abwürgen, der sich in den Monaten vor der EU-Wahl entwickelte. Die Frage, ob heterosexuelle Eltern besser seien als homosexuelle, beantwortet er erst gar nicht, sondern stellt nur fest, "dass es auch gut sein kann für ein Kind, wenn es einen Vater und eine Mutter hat" - als ob irgendjemand behauptet hätte, dass heterosexuelle Elternpaare grundsätzlich schlecht seien.

Einen Einblick in sein Denken offenbart der Vater zweier jugendlicher Söhne auf die Frage, ob er Verständnis dafür hätte, falls diese wurstesk mit Bart und Kleid ausgehen würden: "Wenn, dann könnte es nur als Scherz gedacht sein." Dass es sich bei Conchita Wurst nicht um eine Karnevalsfigur handelt, sondern im Gegenteil ein ganz klares gesellschaftspolitisches Anliegen dahintersteckt, hat er nicht verstanden. Abweichungen vom althergebrachten Familien- und Lebenskonzept existieren für ihn, den Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem, lediglich als "Scherz".

Wofür die ÖVP-Spitze unter Spindelegger wirklich steht, nämlich für Oberflächlichkeit und ein reaktionäres Gesellschaftsbild, zeigt eindringlich auch der langjährige schwarze Gesundheitssprecher Erwin Rasinger. Er echauffierte sich über den schlechten Kleidungsstil der Parlamentsabgeordneten (keine Krawatte!), der der "Würde" des Hauses nicht entspräche.

In einem Streitgespräch mit dem grünen Kapuzenpulliträger Julian Schmid legt der Mediziner eine Woche später noch einmal in Sachen Dresscode nach: "Ohne weißen Arztmantel könnte ich nicht ordinieren." Der Kittel dient ihm offensichtlich nicht als der Hygiene geschuldete Arbeitskleidung, sondern als Standessymbol, genauso wie Anzug und Krawatte in seinem Zweitberuf, der Politik. Inhalte spielen da höchstens eine untergeordnete Rolle.

"Wir müssen uns schon selbstkritisch fragen", fordert der seit zwanzig Jahren im Nationalrat sitzende Abgeordnete vom Neomandatar Schmid, "warum Bürger einfach den TV-Apparat abschalten, wenn sie uns Politiker im Parlament sehen." Ein Hoodie am Rednerpult sorgt gemäß Rasingers Weltsicht für mehr Politikverdrossenheit unter den Bürgern als serienweise Korruptionsskandale, Nepotismus und Inhaltsleere.

Längst müssten die gesetzlichen Vorgaben im gesellschaftlichen Bereich an die Lebensrealitäten der Menschen angepasst werden. Unter Spindelegger wird sich die ÖVP in diesen Fragen nicht bewegen. Doch ein Nachfolger, dem dies zuzutrauen wäre, ist nicht in Sicht.  (Michael Vosatka, derStandard.at, 3.6.2014)