Wird Wien irgendwann so aussehen, wie wir das ...

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... von südlichen Städten kennen? Balkone über Gehsteigen und anderen Verkehrsflächen sollen mit der neuen Bauordnung jedenfalls bald viel leichter möglich sein als zuvor.

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Wien gibt sich eine neue Bauordnung, und sowohl die Politik als auch die Bauwirtschaft ist damit durchaus zufrieden (Letzere aber mit Abstrichen, siehe "Round Table"). Rund 50 Neuerungen werden, wenn alles nach Plan läuft, Anfang Juli in Kraft treten. Sie reichen vom bereits vieldiskutierten Entfall des verpflichtenden Einbaus von Notkaminen und der vielfach als längst überfällig bezeichneten Entschärfung der Pkw-Stellplatzverpflichtung bis hin zu Maßnahmen, die laut Grünen-Planungssprecher Christoph Chorherr, einem der beiden politischen "Masterminds" der Novelle, "das Potenzial haben, das Gesicht dieser Stadt zu verändern".

Balkone an der Baulinie

Eine davon betrifft den Bau von Balkonen: Sie dürfen künftig "unter Einhaltung entsprechender Sicherheitsbestimmungen" auch über Verkehrsflächen wie Gehsteigen und in einem größeren Ausmaß als bisher errichtet werden - und sind somit "nicht mehr nur in der Vorgartenstraße möglich", wie ein Wiener Bauträger nach der Vorstellung des Pakets im vergangenen Sommer gegenüber dem Standard lakonisch bemerkte. Allerdings fordert die Bauwirtschaft in diesem Zusammenhang, dass die Bebauungsbestimmungen durchforstet werden, denn Balkonverbote seien dort noch zahlreich vorhanden.

Chorherr und sein oberster Verhandlungspartner, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ), gliedern die wichtigsten Eckpunkte der neuen Bauordnung in drei Bereiche: "Kostengünstiges Bauen und Wohnen", "mehr Wohn- und Lebensqualität" sowie "Erhöhung der Sicherheit". Zu letztgenanntem Punkt wird etwa auch die Verpflichtung zur Führung eines "Bauwerksbuches" gezählt. Der Eigentümer eines Bauwerks wird dazu verpflichtet, "bestimmte Bauteile (z. B. Tragwerke, Fassadenkonstruktionen, Geländer, Brüstungen) selbst oder durch andere Personen (etwa einen Ziviltechniker) einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen und die Ergebnisse dieser Überprüfungen in einem von einem Ziviltechniker oder einem gerichtlich beeideten Sachverständigen zu erstellenden Bauwerksbuch zu dokumentieren". Grundsätzlich wird das auch von der Bauwirtschaft begrüßt; die Bauinnung sieht darin allerdings eine Benachteiligung von Baumeistern und drohte kürzlich per Aussendung mit einer Verfassungsklage.

"Solarstandard" als Novum

Völlig neu ist auch der "Wiener Solarstandard", den vor allem der Grüne Chorherr als große Errungenschaft feiert. Neue "Dienstleistungsgebäude" (also alle Gewerbebauten) müssen künftig auf Fassaden- und Dachflächen saubere Energie erzeugen - und zwar konkret eine Mindestleistung von einem Kilowatt-Peak (kW Peak) pro 100 m² Bruttogeschoßfläche. Ausnahmen können gewährt werden, "wenn der Einsatz aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht zweckmäßig ist", wie es heißt. Mit nachgewiesenen, über die Norm hinausgehenden Effizienzmaßnahmen kann dieser Solarstandard auf 0,3 kW Peak reduziert werden.

Warum neben Wohn- auch Bildungsbauten explizit davon ausgenommen sind, ist für Ludwig leicht erklärt: "Schulbauten werden genau dann nicht genützt, wenn man besonders viel Solarenergie vor Ort nützen könnte - in der Ferienzeit." Für Chorherr, der darin ein weltweites Novum sieht ("Wir werden uns in zehn Jahren die Städte anschauen können, die das kopieren werden"), sind Wohn- und Bildungsbauten nur "vorerst" ausgenommen. Wie bei vielem in der neuen Bauordnung ist auch hier für ihn noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Verschärfung bei Abbruch

Neu ist weiters eine Verschärfung bei der "technischen Abbruchreife" eines Gebäudes. Bisher war der Abbruch dann anzuordnen, wenn die Instandsetzung einer Substanzveränderung von mindestens der Hälfte der vorhandenen Bausubstanz gleichkäme. Dieser Automatismus entfällt, künftig wird man immer - mit entsprechenden Gutachten - nachzuweisen haben, dass eine Sanierung nicht mehr wirtschaftlich ist. Freilich betrifft dies hauptsächlich Bauten in Schutzzonen bzw. noch bewohnte Gebäude; die Maßnahme soll verhindern, dass sich die üble Praxis der sogenannten "Bestandfreimachung" - also des "Hinausekelns" der Bewohner mit unbefristeten Mietverträgen - weiter ausbreitet.

Welches neue Instrument man mit der Möglichkeit, städtebauliche Verträge mit Investoren abschließen zu können, in der Hand hat, weiß man schließlich noch gar nicht so recht. Chorherr meint, hier werde "die Stadt und auch alle anderen noch lernen müssen, was das in der Praxis genau bedeutet". Er glaubt jedenfalls, dass sich hier ein weites Spektrum an Möglichkeiten auftun werde, "angefangen bei der Qualität von Freiräumen bis zu lebendigen Erdgeschoßzonen". (Martin Putschögl, DER STANDARD, 7.6.2014)