Burnout: Die Symptome kommen langsam, schleichend. Bis nichts mehr geht.

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"Ernüchternd“, nennt die Gesundheitsagentur der EU (Osha) mit Sitz im spanischen Bilbao die nackte Statistik zum Thema Dauerstress: 50 bis 60 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage sind demnach durch arbeitsbedingten Stress und psychosoziale Risiken bedingt.

Ein Blick auf die Kostenschätzung scheint dann für eine gesamtkontinentale Kampagne überzeugt zu haben: 240 Milliarden Euro Gesamtkosten, verursacht durch psychische Erkrankungen in Europa werden jährlich veranschlagt – 136 Mrd. davon entfallen auf Produktivitätseinbußen, krankheitsbedingte Abwesenheit.

"Gesunde Arbeitsplätze – Stress managen“ wird nun als zwei Jahre aktive Kampagne von der Gesundheitsagentur gegen dieses Riesenproblem mit all seinen tickenden Bomben für Sozialsysteme und Gesamtgesellschaft in die Mitgliedsländer gebracht.

Ein fairer Fokus?

Arbeitgeber sollen jetzt mal anpacken, was sie verursachen und freiwillig die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz fördern, Maßnahmen setzen. Broschüren, Anleitungen und ein Europa-weiter Wettbewerb für eine good practice gehören zu unterstützenden Instrumenten.

Vielleicht ein bisschen unfair, diese Last alleinig dorthin zu verlagern, in den Job, in einer Gesellschaft, die sich über Konsum und Haben definiert, in der die Nachdenker, die zu Langsamen, die zu Alten, die Zweifler und nicht ultraschnell-Mitmacher zumindest unter Beobachtung stehen, wenn nicht aussortiert werden. In einer Gesellschaft, in der das animal laborans definiert wird, das sich selbst ausbeutet und damit Opfer und Täter zugleich ist, wie der Philosoph Byung-Chul Han in seinem Essay "Die Müdigkeitsgesellschaft“ schreibt.

Es kommt schleichend

Weil zur (geforderten) Haltung unbegrenzter Leistungsbereitschaft gesellt sich schnell eine Unfähigkeit, leise schleichende Symptome der Überforderung nicht mehr wahr zu nehmen – um dann in der Statistik psychisch Erkrankter aufzuscheinen. Entspannung ist ja auch schon zu Entspannungstricks verkommen, die Freizeitindustrie fordert auch recht gnadenlos Konsum – also Leistung.

Dass strukturiertes Management von (negativem) Stress möglich ist, ist Ziel der Kampagne. Also unternehmerische Herangehensweise, Management.

Wohl darf das Thema dort und da auch noch aus der Tabu- und aus der Schamzone geholt werden. Erschöpfungsdepressionen, Burnout, gelten ja vielfach auch als so etwas wie eine Tapferkeitsmedaille im Feld der Leistungsgesellschaft.

Oder als Beweis, nicht gut genug, nicht schnell genug, nicht „employabel“ genug zu sein. Vor allem für Perfektionisten und für Leute, die rund um 50 sind (und Angst haben, aus dem „Spiel“ zu fallen) ein Riesenthema.

Koordinationsstelle in Österreich für alle Vorhaben und Aktionen ist das Zentralarbeitsinspektorat. Dort wird ja auch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz mit seiner Vorschreibung , psychische Belastungen (seit 2013) am Arbeitsplatz zu evaluieren und Maßnahmen dagegen zu setzen, kontrolliert.

Nach 5600 dahin geprüften Betrieben in Österreich fällt die Bilanz nicht euphorisch aus: Mangelnde Arbeitsschutzkenntnisse, mangelnde Artbeitsplatzevaluierung, oberflächliche Benennung der konkreten Gefahren, unpräzise Maßnahmen ohne Frist und Zuständigkeit, nicht aussagekräftige Tätigkeitsberichte der firmeninternen Fachleute: Das listet Julia Steurer, Arbeitspsychologin im Sozialministerium nach eineinhalb Jahren Gesetzesnovelle auf.

Einfache Maßnahmen

Aber: "Immer mehr Betriebe beginnen jetzt einen qualitätsvollen systematischen Prozess und profitieren davon.“ Oft gehe es um einfache Dinge wie Kühlgeräte im Büro oder um einen Aushang, wer beim Schichtwechsel für ein Versagen von Maschinen Ansprechpartner ist oder um die Erkenntnis, warum eine bestimmte Mitarbeiterin (Alleinerzieherin) freitags nie Spätdienst machen kann: Keine Kinderbetreuung hat offen.

Der Arbeitnehmerschaft will diese EU-Kampagne versichern, dass arbeitsbedingter Stress Sache des Arbeitgebers ist und nicht persönliche Schwäche, persönliches Versagen, das so lange erduldet werden muss wie nur irgendwie möglich. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man die Stressoren ansieht, welche den heimischen Arbeitnehmern (laut Umfrage der EU-Gesundheitsagentur) zusetzen:

Was Österreicher stresst

64 nennen die geleisteten Überstunden plus generell die Arbeitsbelastung als Top of the Flops, fast ebenso viele die Angst vor Jobverlust und Umstrukturierungen. 58 Prozent benennen „nicht akzeptable Verhaltensweisen und fehlende Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten“ als besonders stressend, fast die Hälfte hat keine Klarheit über Aufgabe und Verantwortlichkeit, 43 Prozent leiden unter Fremdbestimmung im Job. Das wirft insgesamt kein gutes Licht auf das Betriebsklima in der heimischen Wirtschaft.

Da ist alles drinnen: Schlechte Führung, knappe Ressourcen, falsche Arbeitsverteilung, Wettkampf und Abwertung untereinander, die Folgen permanenter Umstrukturierung.

Versteckte Kosten

Laut Schätzungen der Arbeiterkammer kostet Burnout die heimische Wirtschaft jährlich fast dreieinhalb Milliarden Euro, das Wifo (Gudrun Biffl) verdoppelt diese Schätzungen noch und rechnet dabei auch all jene ein, die ihre Überforderung, ihre Erschöpfung oder die Qual ihrer Unterforderung, ihres Unnötigseins (auch das so genannte Boreout verursacht krankmachenden Dauerstress) medikamentös versuchen im Zaum zu halten und dann halt physisch anwesend kaum etwas arbeiten können oder eben extrem fehler- und unfallanfällig sind. Bei den Frühpensionierungen der Frauen in Österreich sind psychische Erkrankungen bereits Grund Nummer 1.

Die Neurobilogie dahinter

Was mit dem Gefühl der dauernden Hetze, des nie ruhen Könnens, mit der Angst es nicht zu schaffen beginnt, sich via Bluthochdruck, dauernder Entzündungs- und Infektionsherde, Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Verdauungsproblemen fortsetzt, hat seinen Ursprung in der Gehirnchemie, wie die derzeit besonders populäre Neurobiologie hinlänglich belegt hat.

Negativ wirkt Stress dann, wenn die von ihm ausgelöste Ausschüttung des Hormons Cortisol  das Gehirn dauerhaft überschwemmt, wenn die Anspannung also nicht nach lässt. Es kommt so quasi zu einer Cortisolvergiftung, die nach und nach Nervenzellen im Gehirn abtötet.

Wer täglich acht bis zehn Stunden in diesem Zustand ist und sich dann der Freizeitindustrie oder der Elektronikindustrie aussetzt, beraubt sein Gehirn der Möglichkeit zum Abbau von Cortisol, sagen Neurobiologen. Laut Forschungen des Max Planck-Institutes können so bis zu einem Drittel der Intelligenz verloren gehen.

"Stress managen“ sollte demnach eigentlich "Dauerstress managen“ im Sinne von abbauen heißen – grundsätzlich ist die situative hormonelle Aktivierung, Fokussierung des Gehirns auf Kämpfen oder Flüchten ja sinnvoll und lebenserhaltend.

Diskussionen, Betriebsinfos und Veranstaltungen stehen in den kommenden Monaten in Österreich zur Kampagne bevor. Woran Erfolge nach zwei Jahren gemessen werden sollen?

Die Sozialpartner und Interessenverbände argumentieren da eher vorsichtig mit Bewusstseinsbildung. Auf Zahlen – etwa Reduktion der Krankenstandstage oder konsumierter Psychopharmaka – will sich kein Vertreter fest legen. (DER STANDARD, 14./15.06.2014)