Der Kanzler als erstes Opfer: Das Bild von Engelbert Dollfuß auf dem Totenbett wurde zur Ikone des austrofaschistischen Staates.

Foto: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands

Ein beträchtlicher Teil des Putschplans, mit dem die Nazis 1934 das Dollfuß-Regime stürzen wollten, war schon gescheitert, bevor der Streich gegen das Bundeskanzleramt geführt wurde. Das ist dem neuen Buch "Hitlers zweiter Putsch" (Residenz-Verlag) zu entnehmen, in dem der Historiker Kurt Bauer nachweist, dass Adolf Hitler kein Talent zum Putschen hatte. Nach seinem ersten Putschversuch - der von der NS-Propaganda verklärte "Marsch auf die Feldherrnhalle" am 9. November 1923 - wollte man von München aus eine faschistische Reichsregierung bilden. Stattdessen brachte er Hitler die Festungshaft ein, in der er "Mein Kampf" schrieb.

Zehneinhalb Jahre später - und eineinhalb Jahre nach der sogenannten Machtergreifung in Berlin - wollte Hitler auch Österreich unter NS-Herrschaft bringen. Die Regierung in Wien sollte am 24. Juli festgesetzt werden, der in Kärnten urlaubende Bundespräsident Wilhelm Miklas sollte gezwungen werden, den ehemaligen steirischen Landeshauptmann Anton Rintelen zum Kanzler einer von Nazis beherrschten Regierung zu machen. Die Ergebnisse neuerer Forschung weisen darauf hin, dass Hitler selbst hinter dem Putschversuch gestanden ist.

Verschobene Regierungssitzung

Die Nazis - illegale SA und SS, unterstützt von aus NS-Deutschland eingesickerten Agenten und Kämpfern der "Österreichischen Legion" - trafen am 23. Juli 1934 die Vorbereitungen für einen Staatsstreich, der bei der Ministerratssitzung des autoritär regierenden Kabinetts Dollfuß am 24. Juli beginnen und durch Aufstände in den Bundesländern unterstützt werden sollte. Doch mitten in die Vorbereitungen (durch die der Kreis der Eingeweihten stark vergrößert wurde) platzte die Nachricht, dass die Regierungssitzung um einen Tag verschoben wurde.

In Klagenfurt hatten sich die nach Kärnten entsandten Verschwörer mit ihrem Mietwagen verdächtig gemacht und wurden arretiert, der NS-Politiker Franz Schattenfroh, der aufgrund seiner Bekanntschaft mit Miklas dazu ausersehen war, auf den Bundespräsidenten "einzuwirken", reiste schon am Vorabend des Putsches wieder heim nach Perchtoldsdorf.

Verratene Aktion

In der Bundeshauptstadt wiederum musste Friedolin Glass, ein entlassener Bundesheersoldat, der mit der SS-Standarte 89 den militärischen Teil des Putsches in Wien leitete, seine Pläne an den neuen Termin der Kabinettssitzung anpassen - es kam zu Verzögerungen und zum Verrat der Aktion durch einen enttäuschten Nazi, den Revierinspektor Johann Dobler.

Als die Putschisten endlich - als Bundesheersoldaten verkleidet - am Ballhausplatz eintrafen, hatte Dollfuß sein Kabinett bereits heimgeschickt. Engelbert Dollfuß vertraute Gott (er hatte schon am 3. Oktober 1933 ein Nazi-Attentat leicht verletzt überlebt) und seinen Bewachern - vergeblich. Er wurde vom als Bundesheersoldat verkleideten Otto Planetta erschossen. Das war nicht geplant - und dass man die Regierung nicht festsetzen konnte, erschütterte die NS-Verbrecher noch mehr.

Als auch noch die Übernahme des Rundfunks scheiterte, brach dieser von Pannen überschattete Putsch in Wien rasch zusammen.

Kein Aufstand - Hitler tobte

In den Bundesländern, wo die Nazis wichtige Exekutivposten handstreichartig übernehmen sollten, ging alles erst mit Verspätung los - und es endete ganz anders, als die Nazis, die auf breiten Rückhalt in Bevölkerung und Militär spekuliert hatten, erhofft hatten. Hitler tobte in Bayreuth - statt Österreich anschließen zu können, musste er auf Zeit spielen; mehr als drei Jahre lang. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 21.7.2014)