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"Eine Kleidung, die den Körper 'reizarm' verhüllt, bewirkt, dass Männer und Frauen füreinander sexuell nicht so anziehend sind, und das wiederum hat zur Folge, dass es weniger Fremdgehen und damit stabilere Ehen gibt", meint Hübsch in ihrem Buch.

Foto: APA/Michael Gottschalk

Mit dem muslimischen Kopftuch geht es mir ein bisschen wie mit der Prostitution: Ich bin unbedingt dagegen, es zu verbieten oder Frauen, die sich dafür entscheiden, zu stigmatisieren, zu diskriminieren oder für willenlose Opfer zu halten. Aber ich bin gleichzeitig der Ansicht, dass es sich dabei um eine Praxis handelt, die nur innerhalb von patriarchalen Kulturen Sinn ergibt und die ich daher nicht wirklich gut finden kann.

Leider ist aber auch beim "Kopftuchthema" die Debatte völlig verengt auf die Frage, ob und wie es gesetzlich geregelt gehört. Auf der Kontra-Seite werden die unterschiedlichsten und oft abenteuerliche Dinge hineininterpretiert, die Pro-Seite beschränkt sich meistens darauf, es zu einer individuellen Angelegenheit der betreffenden Frauen zu erklären, die niemanden sonst etwas angehe. Mit beidem bin ich nicht einverstanden.

Sichtbares Symbol

Ich bin der Ansicht, dass eine Debatte über dieses Thema nur möglich ist, indem man die Gründe und Argumente von Frauen, die das Kopftuch tragen, hört und ernst nimmt. Ich bin aber auch der Ansicht, dass ein solches sichtbares Symbol, das die Erscheinungsweise von Frauen in der Öffentlichkeit prägt – und es gibt ja in Deutschland schon längst mehr nur als eine Handvoll von Kopftuchträgerinnen – nicht einfach nur Privatsache ist, sondern etwas, das uns alle betrifft. Zumindest betrifft es auch mich, die ich ja auch eine Frau bin.

Natürlich gibt es unzählige unterschiedliche Gründe, warum eine Frau das muslimische Kopftuch trägt (es gibt ja auch andere Kopftücher). Manche tun es aus Tradition oder Gewohnheit, manche als sichtbares Zeichen ihrer Frömmigkeit oder ihrer Zugehörigkeit zum Islam, manche vielleicht auch einfach nur als Mode oder um ihre Eltern zu ärgern oder um ihren Eltern einen Gefallen zu tun.

Lupenreine Muslimin

Eine feministische Aktivistin hat mal gesagt, sie trägt es, um keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie eine lupenreine Muslimin ist, aber sie trägt es auf eine untypische Weise, um gleichzeitig deutlich zu machen, dass sie sich nicht der üblichen patriarchalen Tradition ihrer Religion verpflichtet fühlt, was eine Begründung war, die mir besonders gut gefiel.

Das alles sind aber sozusagen, wie man auf philosophisch sagen würde, "kontingente" Gründe, das heißt, sie hängen nicht wesentlich mit dem Kopftuch zusammen, sondern sind dem Zufall der historischen oder persönliche Umstände geschuldet. Das bedeutet nicht, dass sie unwichtig sind, ganz im Gegenteil, das Kontingente ist meist viel wichtiger als Prinzipien oder Theorien. Aber an dieser Stelle interessiert es mich mal nicht.

Was soll also das Kopftuch, eigentlich? "Unter dem Schleier die Freiheit. Was der Islam zu einem wirklich emanzipierten Frauenbild beitragen kann" – unter diesem Titel hat Khola Maryam Hübsch jetzt eine Antwort auf diese Frage versucht. Und mit dieser Antwort möchte ich mich hier auseinandersetzen, weil ich mit ihr nicht einverstanden bin.

Klischeehafte Zuschreibung

Wobei ich vorausschicken muss, dass ich mit dem Allermeisten, was sie schreibt, durchaus einverstanden bin. Ein großer Teil des Buches besteht in der Zurückweisung unangemessener und klischeehafter Zuschreibungen an das Kopftuch und aus einem Plädoyer gegen jegliche Verbote, und das sehe ich alles, wie gesagt, ganz genauso.

Der zweite Argumentationsstrang handelt von der Liebe, und zwar von der heterosexuellen Ehe zwischen einer Frau und einem Mann. Ihre Kritik wendet sich, wenig überraschend, gegen die Sexualisierung des weiblichen Körpers, gegen die romantischen Liebesklischees, die allzu oft ins Unglück führen und dergleichen. Ihre Hauptreferenz ist dabei die Studie "Warum Liebe wehtut" von Eva Illouz, über die ich ja auch schon gebloggt habe. Auch dieser Analyse kann ich weitgehend zustimmen, das ist alles nicht schön.

Aber. Ist das Kopftuch, beziehungsweise die Art von Geschlechterbeziehungen, für die es (laut Hübsch) im Islam steht, eine Lösung für all das? Ein Wort, das sie in dem Zusammenhang oft verwendet, ist "reizarm". Ihre Argumentation ist letztlich: Eine Kleidung, die den Körper "reizarm" verhüllt, bewirkt, dass Männer und Frauen füreinander sexuell nicht so anziehend sind, und das wiederum hat zur Folge, dass es weniger Fremdgehen und damit stabilere Ehen gibt, was das Leben für alle, die sich dauerhafte Paarbeziehungen wünschen, leichter macht. Wobei Hübsch betont, dass "Reizarmut" ein Gebot für Frauen und für Männer sei.

Reizarm versus sexy

Mal ganz abgesehen davon, dass Homosexualität in diesem Modell als Möglichkeit gar nicht vorkommt, bezweifle ich sehr, dass das so funktioniert. Ich selbst habe einige Erfahrung mit "reizarmer" Kleidung, sie ist nämlich das, was ich schon immer trage. "Sexy" kommt in meinem Kleiderschrank nicht vor – aber das hat keineswegs verhindert, dass ich mich permanent in jemanden verliebt habe und alle möglichen Leute sich in mich verliebt haben.

Möglicherweise hat die Art der Kleidung eine Auswirkung auf spontane körperliche Geilheitsanfälle, aber das, was für monogame Beziehungen die viel größere "Gefahr" ist (wenn man dem Konzept denn mal folgen will), nämlich die Attraktivität einer Person, das Interesse an jemand, das Herzklopfen macht und den Wunsch hervorruft, diese Person wiederzusehen und Zeit mit ihr zu verbringen, das ist von "reizhafter" Kleidung meiner Erfahrung nach ziemlich unabhängig.

Beziehungskuddelmuddel

Deshalb zweifle ich auch an Hübschs These, dass gerade das "Kopftuch" – nicht als isoliertes Kleidungsstück sondern als Ausdruck von "reizarmer" Kleidung generell – den Nutzen hat, öffentliches Wirken von Frauen leichter zu ermöglichen, weil es sozusagen verhindert, dass sich das öffentliche Wirken mit emotionalem und potenziell ehezerstörendem Beziehungskuddelmuddel vermengt.

Meine Gegenthese gegen diese Begründung für das Kopftuch wäre: Überall dort, wo Frauen mit Männern zusammentreffen (und, im Fall dass sie lesbisch sind, auch dort, wo sie mit Frauen zusammentreffen), besteht die "Gefahr", dass sie diese anderen Männer_Frauen attraktiv und interessant finden oder von diesen attraktiv und interessant gefunden werden. Kein Kopftuch der Welt kann diese "Gefahr" auch nur um ein Minimum reduzieren. Mit dieser "Gefahr" müssen wir alle - als Gesellschaft und als Einzelne - umgehen.

Weibliche Freiheit

Dafür gibt es ja unendlich viele Möglichkeiten, von innerer Entschlossenheit aus dem festen Wille zu unbedingter "Treue" auf der einen Seite bis hin zur gänzlichen Verabschiedung der Monogamie auf der anderen. Aber irgendwo auf dieser Skala müssen wir uns ansiedeln – jedenfalls alle diejenigen von uns, die draußen in der Welt aktiv sind und dort mit anderen Menschen als unserem Ehemann oder unserer Ehefrau zu tun haben oder (möglicherweise sogar eng) zusammenarbeiten.

Die einzige Möglichkeit, dieser Problematik aus dem Weg zu gehen, ist es, gar keine außerehelichen Beziehungen zu anderen Menschen zu haben. Oder, wenn man in Hübschs strikt heterosexuellem Kosmos bleibt: Keine außerehelichen Beziehungen zu anderen Männern. Und leider ist das ja eine Interpretation, die dem real existierenden Islam nicht ganz fremd ist.

Natürlich grenzt sich Hübsch von solchen frauenfeindlichen Ideologien klar ab. Aber sie selbst schreibt auch nichts über das öffentliche Wirken von Frauen. Unter weiblicher Freiheit scheint sie nur die Freiheit zu verstehen, einen guten Mann zu finden und mit ihm eine stabile dauerhafte Ehe zu führen. Und das Kopftuch soll dabei helfen, weil es (angeblich) verhindert, dass andere Männer sie attraktiv finden.

Aber eine Frau, die klug und stark in der Welt wirkt, ist nun mal attraktiv. Auch wenn sie ein Kopftuch trägt. Let's deal with that. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 31.7.2014)