Wien - Ivo Dimchev schmiert und schmuddelt gern auf der Bühne herum. Er greift einer Performerin zwischen die Beine und gibt einen öffentlichen Blowjob wie in Fest. Oder er lässt sich selbst oralsexuell bedienen wie in seinem neuen Stück Icure, das gerade bei Impulstanz im Kasino am Schwarzenbergplatz uraufgeführt wurde.

Fest und Icure enthalten eindeutig Live-Porno-Szenen. Das muss sein dürfen. Auch wenn es manchen Menschen nicht ins ethische Konzept passt: entweder aus Gründen der Weltanschauung oder auch des Zweifels am Spekulieren mit Nacktheit, Sex und Porno als "Seller", wie das im gerade kriselnden zeitgenössischen Tanz immer häufiger der Fall ist.

Die pornografische Besonderheit bei Icure allerdings bewegt sich auf einer anderen Ebene: In der Schlussszene macht sich die von Dimchev dargestellte Figur über ein Foto lustig, auf dem die blutverschmierten Leichen zwei-er Kinder und ihrer Mutter zu sehen sind.

"This is a beautiful image", quäkt der "Radikalperformer", nachdem er Lippenstift und ein Ohrgehänge angelegt hat. Und verspottet das Bild und dessen Sujet, während er teils unverständliches Zeug ins Leere brabbelt.

Das Foto findet sich auf einem antisemitischen Blog in einem Beitrag aus dem Jahr 2012 (Zitat: "Israel is a child murdering government."). In Icure wird es auf einem großen Flachbildschirm gezeigt. Dimchev beugt sich zu den Leichen hin und gackert: "I love you the way you are." Das lässt nach allem, was er zuvor an sexuellen Einlassungen abgelassen hat, am ehesten noch an eine nekrophile Hinwendung denken.

Dekadenter Nihilismus

Am Beginn des Stücks macht sich Dimchev, als Dragfigur verkleidet, darüber lustig, wie leicht sich eine esoterische Klientel in allerlei Heilungs-Hokuspokus manövrieren lässt.

Er lässt seinem Narzissmus freien Lauf, ölt sich ein, lockt Leute aus dem Publikum, die ihn massieren, und sagt spöttisch: "I just have to do ,la la', and love is everywhere." Auf dem Bildschirm ist eine Palmeninsel zu sehen, dann eine Feuerstelle, ein Wasserfall, ein rennender Gepard in Zeitlupe. Dimchev singt und plappert und bekennt: "Sometimes I feel I have nothing to say." Der dann folgende Blowjob und eine simulierte Penetrationsszene mit "friend Patrick", den er in der Folge als "Jesus" bezeichnet, komplettieren den in dieser Performance zelebrierten dekadenten Nihilismus - noch nicht. Auf dem Bildschirm erscheint nun ein Haufen Kot: "You see the beautiful healing dance of the bacteria." Erfolgreich baut Dimchev seine Figur als zynisches Monster auf.

Wenn es jetzt zu der Leichenfoto-Szene kommt, überzeichnet ebendieses Monster jeden kritischen Diskurs über Bilder von Kriegsopfern. Als erfahrener Performer weiß Dimchev das, bevor er sich ohne Bruch seiner Figur über die direkt angesprochenen toten Kinder im Bild hermacht. Bereits einmal als Kriegspropaganda missbraucht, werden sie so bei Dimchevs performativem Billigporno noch einmal zu Opfern.

"Sorry, am I cynical?", fragt er spitz, als immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer das Theater verlassen. Sie haben etwas versäumt. Vor Ende von Icure ließ Dimchev das Publikum noch eine Minute sitzen, um sich an dessen Verunsicherung zu weiden.

Icure ist nicht radikal. Nur traurig, menschenverachtend und unendlich dumm. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 6.8.2014)