Von hohem künstlerischem Wert: Der Japaner Ko Murobushi zeigte mit "Faux Pas" bei Impulstanz vor, um wie viel elaborierter und intensiver ein gealterter Körper tanzen kann als ein junger.

Foto: Miro Ito, Impulstanz

Wien - Ein schwarzer Hut. Ein schwarzer Anzug. Darunter zur Gänze mit Silberfarbe überzogene Haut. Das sind die Hüllen des Ko Murobushi, wenn der 67-Jährige die Bühne betritt, um sein Butô-Tanzsolo Faux Pas zu zeigen. Die Uraufführung dieses dann atemberaubend intensiv ablaufenden Stücks im Odeontheater bildete den Abschluss der diesjährigen Ausgabe von Impulstanz.

Faux Pas ist ein langer, einsamer und brutaler Todeskampf, der durch die Ironie musikalischer Puffer wie Curtis Mayfields Song Pusherman - Zitat: "This life just don't make it" - nur noch härter daherkommt. Auch in anderen Arbeiten dieses Festivals war die Tragik der Existenz großes Thema. Von kulturellen Stereotypen zombiefiziert (Dana Michel), von ökonomischen Dynamiken bekämpft (Amanda Piña mit Daniel Zimmermann) und auf die Mülldeponie abgeschoben (Alain Platel) tanzen die globalen Gesellschaften. Und darin das Individuum, vom Leistungsdruck in den Wahn gehetzt (Karol Tyminski), von den Spiegeln der Kultur verzerrt (Florentina Holzinger) und seiner gewalttätigen Umwelt traumatisiert (Hans Van den Broeck).

Menschliche Beziehungen werden zu Pornos degradiert (Anne Juren), Jugendliche als Sexsklaven verbraucht (Ismael Ivo), und das Social Web produziert nur noch Kommunikationsexhibitionismus (Chris Haring). Sexualität erstarrt zur kalten Kokon-Fantasie (Geumhyung Jeong), zu blankem Zynismus (Ivo Dimchev) und Nihilismus (Chaignaud & Bengolea), oder sie wird medial zu Tode verwertet (Rebecca Patek). In dieser Atmosphäre zerfällt uns, was immer wir bauen, unter den Händen (Gaëtan Rusquet). Das sind nur einige der künstlerischen Perspektiven auf unsere Lebenswirklichkeiten, die heuer sichtbar gemacht wurden.

Das Festivalformat hat eine wichtige Funktion: Es kann zeigen, welche Themen eine darstellende Kunstform heute miteinander verknüpft. Weil der Tanz sich meist nicht "literarisch" mitteilt, dringen gerade seine Erzählungen oft in Wahrnehmungsbereiche ein, die tiefer liegen, als der Verstand reicht. Das haben wohl die meisten der 120.000 Impulstanz-Besucher gespürt.

2014 fuhr das Festival (Gesamtbudget: 5,2 Millionen Euro, Auslastung: 99 Prozent) auf Sparkurs; trotzdem gab es 113 Vorstellungen von 40 Produktionen. Allerdings fehlten kostspielige Publikumsmagneten wie Anne Teresa De Keersmaeker, Jan Fabre, Wim Vandekeybus, Akram Khan oder Marie Chouinard, die 2013 zum 30er-Jubiläum (124.400 Besuchern) angetreten waren; allein 5500 kamen zur Open-Air-Eröffnung, die nun ebenso eingespart wurde wie teure Spielstätten (Burgtheater, Halle E im Museumsquartier).

Als eindeutiger Publikumsfavorit erwies sich die Interpretation des Ballettklassikers Schwanensee der Südafrikanerin Dada Masilo. Komplizierter einzuschätzen ist der künstlerische Wert der präsentierten Stücke. Sicherlich war Jérôme Bel, ein Klassiker der konzeptuellen Choreografie aus dem Jahr 1995, die gelungenste Arbeit. Als ebenso wichtig erwies sich Murobushis Faux Pas. Denn der Japaner demonstrierte, um wie viel elaborierter und intensiver ein gealterter Körper tanzen kann als ein junger. Bei der erfreulich breit angelegten Jungchoreografen-Plattform [8:tension] bewies Gaëtan Rusquets choreografische Installation Meanwhile die größte künstlerische Reife. Den Prix Jardin d'Europe gewann trotzdem die US-Amerikanerin Jillian Peña.

Zu den spannendsten Werken zählten etliche österreichische Arbeiten. Vor allem War, Amanda Piñas und Daniel Zimmermanns Stück über Krieg und Exotismus. Aber auch Anne Jurens Pornography. A Trying Out, An Kalers Contingencies und Akemi Takeyas Little Stories About S.O.S. waren durchwegs überzeugend.

Die aufwändigste unter den Großproduktionen war Ismael Ivos jüngstes Stück Erendira. Ivo lehnte sich an die Figur einer jugendlichen Prostituierten in einer Geschichte von Gabriel García Marquez an: Die unglaubliche und traurige Geschichte von der einfältigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter (1972). Der Mitbegründer von Impulstanz arbeitete die Großmutter der Erendira, dargestellt von Cleide Queiroz, heraus und präsentierte sie als grausame Puffmutter, die ihre Mädchen gnadenlos verhökert.

Doch was als Anklage gegen Kinderprostitution gemeint ist, verliert diesen Charakter ganz schnell. In der Wahl seiner künstlerischen Mittel gerät Ivo auf eine Ebene, die das Leid der Sexsklavinnen ästhetisiert: Die grausamen Freier sind allesamt anziehend anzüglich dargestellte Jünglinge, die weiblichen Opfer zeigen vor allem, wie schön sie ihre missliche Lage tanzen können.

Angeprangertes als Attraktion

Weil sich Ivo noch dazu indirekt auf die von Islamisten entführten Schülerinnen in Nigeria bezieht, läuft sein kulinarisch inszeniertes und pathetisch aufgeladenes Stück umso härter auf Grund. Der Choreograf macht das, was er eigentlich anprangern wollte, zu einer sinnlichen Attraktion aus üppigen Bildern und fetten Sounds. Mit seiner langen Berufserfahrung als Tänzer, Choreograf und Kurator dürfte dem 59-Jährigen ein solcher Fehler eigentlich nicht mehr unterlaufen. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 19.8.2014)