Das "beste Rollenspiel" der Gamescom 2014: Nichts gegen Gewinner "Risen 3", aber objektiv gesehen ist es ein Titel, der von der Fachpresse gerade einmal mit durchschnittlichen Wertungen versehen wurde

Bild: "Risen 3"

Die Gamecom in Köln ist in erster Linie eine Publikumsmesse. Deshalb rücken ihre Veranstalter die absurd hohen Besucherzahlen und nicht die Ankündigungen der Aussteller in den Vordergrund. Doch während sich viele der 350.000 Fans wie gehabt stundenlang zum Probespielen anstellten, mauserte sich die Show 2014 zum unverzichtbaren Medienevent. Vorbei sind die Zeiten, in denen die großen News ausschließlich oder zumindest vor allem auf der Fachmesse E3 in Los Angeles verkündet wurden. Tatsächlich: Auch Köln schrieb heuer große Schlagzeilen.

Games a lot

Das Aufblühen der Industrie ließ sich am besten an den unzähligen Werken festmachen, die auf den Pressekonferenzen von Microsoft (zum Artikel) und Sony (zum Artikel) präsentiert wurden. Die Mehrheit davon wird zwar erst 2015 das Tageslicht erblicken, dann jedoch wirklich starke Argumente für ein frisches Spielgerät liefern. Insbesondere verzückte die Flut spannender Indie-Werke und kreativer Projekte (zum Artikel). Natürlich wird bereits auf die großen Kracher "The Witcher 3", "Bloodborne" oder "Quantum Break" geschielt, doch es sind ausgefallene Schöpfungen wie "Wild", "The Tomorrow Children" oder "Inside", die beweisen, dass sich neben dem PC schön langsam auch Konsolen als Horte des ludischen Abwechslungsreichtums entfalten.

Konsolenkrieg

Interessant zu beobachten waren die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kommunikation der großen Konsolenhersteller. Sony übte sich angesichts 10 Millionen verkaufter PS4-Konsolen zwar in Bescheidenheit, schoss aber wohlwissend, dass man bereits über die reine Kernspielerschaft hinaus denken muss, eine PS4-Produktion nach der anderen heraus und versuchte dabei so viele Zielgruppen wie möglich einzufangen – vom familiären "Tearaway: Unfolded" bis hin zum düsteren Hardcore-Spektakel "Bloodborne". Dem New-Gen-Fokus zum Opfer fiel leider die Handheld-Konsole PS Vita, die man komplett ignorierte.

Microsoft konzentrierte sich hingegen auf die Vertiefung bereits angekündigter Titel und die Message, dass man die Kernspielerschaft nach zahlreichen Strategiewendungen nicht vergessen hat und versuchte mit einem Exklusiv-Deal zum neuen "Tomb Raider" allen die Show zu stehlen. Das Letzteres im ersten Anlauf schief ging – für Microsofts viel gescholtene PR-Abteilung leider wieder einmal – lag am mit Sicherheit absichtlich undurchsichtigen Wording. Bis Journalisten und Konsumenten herausgefunden hatten, dass "Rise of the Tomb Raider" Ende 2015 nur für eine bestimmte Zeit exklusiv für Xbox One und Xbox 360 erhältlich sein wird, hatte man bereits allen Zorn des Internets auf sich gezogen.

Wer sich nach wie vor darüber ärgert, sollte die Schuld daran allerdings Herausgeber Square Enix zuschieben. Denn wenngleich Kritiker monieren, dass Microsoft seine Ressourcen lieber auf eigene Produktionen fokussieren sollte, als etablierte Franchises einzukaufen, lag es letztendlich bei Square, "Tomb Raider" für einen Marketing-Deal zu verkaufen. Ob sich die bestimmt sehr lukrative Vereinbarung mit Microsoft angesichts der Negativ-PR und der Enttäuschung der PC- und PlayStation-Gemeinde letztendlich auszahlen wird, bleibt abzuwarten. Der von Microsoft erhoffte große Coup scheint es dem ersten Eindruck nach zumindest noch (!) nicht zu sein.

Zeitlich beschränkt

Der Begriff "timed exklusive" klang vor fünf Jahren jedenfalls definitiv spektakulärer als heute, wo jeder Plattformbetreiber mit ähnlichen Vereinbarungen für diverse Spiele wirbt. Microsoft und Sony schenken hier einander wenig und in der Flut heranrauschender Titel wirken diese Deals aus der Sicht der längst überforderten Konsumenten immer bedeutungsloser. Wer welches Level und welchen Modus und welche Erweiterung oder welche Beta zuerst bekommt, kann doch keiner mehr so recht überblicken. "'Tomb Raider' erscheint 2015 nur für Xbox? Gut, dann spiele ich eben etwas anderes und warte bis die ultimative PC- oder PS4Version im Frühling erscheint", so der Tenor der vielen Reaktionen. Und welchen Unterschied macht es wirklich, wann welcher Inhalt verfügbar sein wird, wenn die Mehrheit der Konsumenten aus zeitlichen oder anderen Gründen nicht einmal das Hauptspiel zu Ende führen? Zumindest sollte man sich als Spieler von derartigen Marketingspitzfindigkeiten nicht mehr aus der Ruhe bringen lassen.

The best places to play

Aufmerksame Zuhörer dürfte indes das überraschend konforme Werbeauftreten von Sony und Microsoft zum Schmunzeln gebracht haben. Kinect und TV TV TV ad acta gelegt, ist jetzt nämlich auch die Xbox One "The best place to play", wie Sprachrohr Phil Spencer in Köln mehrfach betonte. Ein klingender Slogan, den sich Sony bereits 2013 markenrechtlich schützen ließ. Uns Gamern kann es nur recht sein. Nun gibt es offenbar eine weitere reine Spielkonsole am Markt. Wer hätte das vor 12 Monaten schon gedacht?

Nicht sehr glücklich stimmte hingegen Nintendos verhaltenes Auftreten auf der größten Videospielmesse des Jahres. Während Sony und Microsoft die Messe als Bühne wahrnahmen, zündete Nintendo kein Feuerwerk der Ankündigungen. Anstelle dessen wurde die Gamescom von Seiten der großen Dritthersteller für einige Abgesänge der Wii U genutzt. So erklärten Vertreter von EA, Activison und Ubisoft in Interviews, weshalb diesjährige Blockbuster wie "FIFA 15", "Call of Duty: Advanced Warfare" und "Assassin's Creed Unity" nicht für Nintendos Heimkonsole umgesetzt werden. Schade, denn dank hervorragender Eigenproduktionen wie "Mario Kart 8" sieht sich die Wii U, wenngleich nur leicht, wieder im Aufschwung.

Highlights und Lowlights

Es gab aber auch Erfrischendes aus der Blockbuster-Industrie zu verzeichnen. Hideo Kojimas verdeckte Enthüllung eines neuen "Silent Hill"-Teils in Form des spielbaren Teasers "P.T." könnte als goldener Moment in der Geschichte der Videospielpräsentationen eingehen. Ein schaurig-spektakulärer Anreger, der glatt als Demonstration von Kojimas Genialität taugt. Die US-Kollegen von Gametrailers würdigten die Aktion sogleich mit einer überaus komischen Folge von Mandatory Update.

Award der Unglaubwürdigkeit

Kein Gold darf es hingegen für das Urteilsvermögen der diesjährigen Fachjury der Gamescom Awards geben. So wurden die Finalisten bereits vor Beginn der Messe festgelegt, also noch bevor die jüngsten Eindrücke aller gezeigten Titel zu sehen waren. Das den Experten nach beste Spiel der Show, "Evolve", wurde logischerweise auch gleich bestes Xbox- und bestes PC-Game, aber nicht bestes PlayStation-Spiel, obwohl es ebenso für Sonys Konsole umgesetzt wird. Bestes PlayStation-Spiel wurde wiederum "The Evil Within", das genauso für alle anderen Plattformen erhältlich sein wird. Xbox- oder PlayStation-Exclusives wurden scheinbar übersehen, wobei sich hier Hochkaräter wie "The Order: 1886" oder "Quantum Break" angeboten hätten. Aber gut, vielleicht konnte die Jury diese Titel noch nicht spielen.

Seine Glaubwürdigkeit verloren hat das Gremium jedoch mit der Wahl des besten Rollenspiels. Nichts gegen Gewinner "Risen 3", aber objektiv gesehen ist das ein Titel, der von der Fachpresse gerade einmal mit durchschnittlichen Wertungen versehen wurde – 68/100 bei Metacritic. Jedem Messebesucher wären wohl bessere Genrealternativen in den Sinn gekommen. "Dragon Age: Inqusition", "The Witcher 3" und "Bloodborne" zum Beispiel. Der einzig naheliegende Grund für die Wahl von "Risen 3" als bestes Rollenspiel der Gamescom 2014 ist die Tatsache, dass es sich um eine deutsche Messe mit einer deutschen Jury und eine deutsche Produktion handelt und man sich hier im lokalen Branchenzusammenhalt übte.

Auf Wiedersehen

Das ist ein trübendes Ende für eine Veranstaltung, die aus medialer Sicht jedes Jahr attraktiver wird. Viele der großen Hersteller haben dies mittlerweile erkannt. Mit einer ernstzunehmenden Auszeichnung der neuesten Videospielproduktionen könnten die Veranstalter der Gamescom diese Entwicklung würdigen. Hoffentlich schon im nächsten Jahr. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 23.8.2014)