Ein Glücksfall für Freunde des Radrennsports.

Foto: covadonga

Es war ein Glücksfall für Freunde des Sports und der Literatur: 1949 entschied sich die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera", Dino Buzzati als Korrespondenten zum Giro d’Italia zu entsenden. Was sich in den folgenden Wochen auf den Straßen seines Landes vor den Augen des gefeierten Romanciers ("Die Tatarenwüste") abspielte, geriet zu einer Sternstunde in der Geschichte des Radsports. Das Duell zwischen den ungleichen Nationalhelden Fausto Coppi und Gino Bartali wurde legendär, zur Schlacht zwischen Achill und Hektor. Nun sind Buzzatis gesammelte Berichte als Buch erschienen.

Geheimnisse und Wunder

Dino Buzzati, Jahrgang 1906, gehört zu den originellsten Autoren des 20. Jahrhunderts in Italien. Ab 1928 arbeitete er als Berichterstatteter für den "Corriere della Sera" in Mailand. "Buzzati unterlegt das Heldenepos mit der Nüchternheit einer Sozialreportage. Seine Meisterschaft besteht darin, dass er Geheimnisse nicht lüftet, sondern sie beschreibt", heißt es im Vorwort des Buchs. Er erzählt aus einem "Universum der Wunder und der Kuriositäten, einer Märchenwelt".

So berichtet er von der Saturnia, jenem Schiff, das die Radrennsportler und ihren Tross aus Masseuren, Sportdirektoren, Mechanikern nach Genua bringt, wo der Giro beginnt. Liest man seine Erzählung, wähnt man sich fast an Bord. "Die Champions schlafen, sie kosten die Süße dieser so behaglichen und herrschaftlichen Nacht, gewiegt von den hundert Stimmen des Schiffs, die zu später Stunde wundersame Geschichten erzählen von Ozeanen, Walen, Wolkenkratzern, exotischen Lieben und fernen Städten mit unaussprechlichen Namen."

Tritt um Tritt

Mühelos schafft Buzzati, die Stimmung zwischen Aufbruch, Vorfreude und Ungewissheit im Vorfeld in Worte zu fassen: "Morgen werden sie auf die Straße treffen, atemberaubend lang und gerade und am Horizont endend im Nichts oder gewunden und steil wie eine Felswand, bei deren Anblick schon der Atem stockt, die Straße aus Steinen oder Staub oder Matsch oder Asphalt oder wüsten Schlaglöchern: das endlose Band, das Tritt um Tritt geschluckt werden muss."

Das ist erzählerisch von höchster Qualität - weit weg von aktueller Sportberichterstattung, viel näher am Gonzo-Journalismus eines Hunter S. Thompson: Der Reporter mitten im Geschehen statt nur dabei, wo die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwimmen. Berichterstattung abseits heutiger O-Ton-Jagden und Sensationslüsternheit - in ihrer Eindringlichkeit aber umso sensationeller. (fbay, derStandard.at, 29.8.2014)