Bild nicht mehr verfügbar.

Agnes Zwierko als Fürstin und Maksim Aksenov als die Mutter liebender Sohn in "Charodeyka" am Theater an der Wien.

Foto: APA / Monika Ritterhaus

Wien - Das große Nichts auf der Bühne: Kann damit bitte endlich mal Schluss sein? Gähnende Luxusboutiquenleere, glatte Holzwände, wohin das dürstende Auge schaut. Ein Tisch, ein Stuhl und ein Bett langweilen sich zu Tode. Man kann es ihnen nachfühlen. Wenn Regisseur und Ausstatter in Geberlaune sind, wird kurz ein wenig Wald oder Kleinstadt im Großformat hingehängt. Danke! Man könnte, mit ausgetauschten Bildern, wahrscheinlich die komplette Opernliteratur in diesem Bühnenbild inszenieren. Sollte man aber nicht. Weil es öd ist, tot, verwechselbar, und weil es null Stimmung transportiert.

Da wäre eigentlich eine dampfende Wirtshausatmosphäre zu zeigen gewesen im ersten Akt, an einem mystischen Ort am Zusammenfluss der Oka mit der Wolga, nur über das Wasser zu erreichen. Doch Ausstatter Christian Schmidt kredenzt nur hell ausgeleuchtetes Niemandsland. Auch die Gegenwartsnähe der Inszenierung von Christof Loy ist problematisch. Die Geschichte der Charodeyka, einer sagenumwobenen, die Männer verhexenden Freifrau und Gastronomin, spielt eigentlich im späten Mittelalter. Damals war eine junge Witwe wie Nastasja, die irgendwo in der Pampa allein ein Wirtshaus schupft, etwas Besonderes. Aber heute? Ist sie das nicht mehr. Blöd.

Sonst noch etwas ungut? Ja, die Darstellerin der Titelpartie, leider. Asmik Grigorian singt die Partie ganz wundervoll, mit Intensität, mit einem großen, in Extremsituationen leicht grellen Sopran. Aber was soll das für eine Frau sein, die sie darstellt? Die junge Litauerin spielt mal ein verhuschtes Schulmädchen, dann plötzlich eine herrische Domina, wieder ein paar Augenblicke später ein apathisches Wesen, das zu viel Valium eingeworfen hat. Nur Mavie Hörbiger hat die Courage, einen ähnlich kraus zusammengemixten Topfen als Figur zu verkaufen. Man kann es aktuell im Akademietheater in Tschechows Die Möwe miterleben.

Auch bei der Figurenzeichnung hat es Regisseur Christof Loy mitunter übertrieben. Die Fürstin, die ihren Sohn anstiftet, die vermeintliche Verführerin ihres Mannes umzubringen, ist mehr Karikatur als Figur, fast schon Travestie. Das kann man nicht ernst nehmen. Sollte man aber können. Skurril mit Stil ist hingegen Hanna Schwarz als späte Juliette Gréco, Pardon, als Kammerfrau der Fürstin, die eleganter ist, als es ihre Chefin jemals war.

Was gibt man eigentlich? Tschaikowskis Oper Charodeyka. 1887 uraufgeführt, ist der hochdramatische Vierakter seinerzeit nicht gut angekommen. Es mag am Inhalt gelegen haben: Die Titelheldin ist ein Freigeist und eine Femme fatale, die das Gefüge einer aristokratischen Familie zerstört. Das kam im zaristischen Russland nur suboptimal an.

Die üppige Besetzung mit 15 kleinen und großen Solopartien plus Chor trug in der Folgezeit dazu bei, dass (westeuropäische) Opernintendanten um das Stück einen Bogen machten. Schade, denn neben hochromantischem Herzschmerz bietet die Oper auch verblüffende Kuriositäten wie ein A-capella-Dezimett mit Chor im ersten Akt: Da hält man beglückt den Atem an. Der erste Akt, ein 45-minütiges Tableau mit feierndem Volk, ist wohl eine Grenzerfahrung für jeden Regisseur: Christof Loy inszeniert diesen Massenmarathon handwerklich erstklassig; ein Männerballett mit queer-kreischender Can-Can-Crazyness (Choreografie: Thomas Wilhelm) setzt darin ein spritziges Highlight.

Der Arnold Schoenberg Chor bewältigt seine Aufgabe exzellent, das RSO Wien klingt bei der Premiere noch etwas konventionell. Dirigent Mikhail Tatarnikov, Musikdirektor des St. Petersburger Mikhailovsky-Theaters, zieht die Sache zügig durch. Die Solisten bieten osteuropäische Gesangskunst mit höchster Dramatik, Intensität und Lautstärke: Vladislav Sulimsky als liebestoller Fürst, Maxim Aksenov als dessen mutterfixierter Sohn, Agnes Zwierko als böse, psychisch und physisch etwas derangierte Fürstin, Vladimir Ognovenko als der moralfixierte Schreiber des Fürsten. Am Ende tobt Sturm und Wahn. Große Freude im Theater an der Wien. (Stefan Ender, DER STANDARD, 16.9.2014)