Whiskey und Wermut: Das Münchner Residenztheater (im Bild Norman Hacker und Bibiana Beglau) bringt "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" als pointiertes Gesellschaftsdrama auf die Bühne.

Foto: Andreas Pohlmann

Wenn George seiner Ehefrau Martha - es dürfte wohl inzwischen schon nach drei Uhr nachts sein - endgültig den Krieg erklärt, gibt er ihr gleichzeitig einen zärtlichen Kuss. Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ist weniger ein Blick in eine bereits 20 Jahren brodelnde Ehehölle, sondern zeigt vor allem eines der großen Liebespaare der Weltliteratur, ein Liebespaar, das Dauer akzeptiert, das Ehe aber nicht als behaglichen Rückzug wünscht, sondern Liebe als existenzielle Bedrohung und Distanz auskostet und sicherlich vor allem auch im Alkohol und Zynismus Wahrheit sucht.

Im Residenztheater lockt Martin Kusej zur nächtlichen Party freilich nicht in eine gutbürgerliche Akademikerwohnung, sondern pointiert das Gesellschaftsdrama mit scharfen Cuts. Auf der Bühne des Residenztheaters ist der eiserne Vorhang nur zur Hälfte hochgezogen: vor einer weißen Wand lediglich ein leerer breiter Steg (Bühne: Jessica Rockstroh), darauf keine Möbel, sondern Gläser und Flaschen mit Wiskey und Wermut, alle ohne Etikette, denn die kratzt in Albees Party nicht nur die junge Honey immer wieder von den Flaschen, auch George und Martha wollen - ohne Etikette - bis zum Kern ihrer Differenzen vorstoßen.

Unter dem Steg hat sich schon eine gewaltige Weißglas-Sammlung aufgebaut, dorthin werden die leeren Flaschen und Gläser immer wieder hinuntergekippt und so entsorgt. Auch wenn es ihr Mann öfter betont, dass er - ewig - sechs Jahre jünger bleiben wird, Martha (Bibiana Beglau) wirkt jugendlich, sehr sportlich, selbstbewusst, imponierend, wenig teuflisch, auch kein Weibsteufel, doch durchaus auch, wenn man ihr genau zuhört, verletzt.

Norman Hacker ein weicher, bisweilen traurig staunender George, natürlich überlegen gegenüber seinem jüngeren selbstgefälligen, karrieresüchtigen, doch schlappen Kollegen Nick (Johannes Zirner), der wohl aus Verlegenheit oft in aggressives Schweigen verfällt. Nicks aus Kalkül geheiratete Ehefrau und Jugendliebe Honey muss sich sogar immer wieder in die Toilette zurückziehen: Nora Buzalka versteht der lächerlich unscheinbaren Figur doch einen Rest von Selbstbewusstsein zu verleihen.

Erstaunlich, wie das über 50 Jahre alte Stück aktuell gewordene Statusängste und Verlust- und Versagensängste einer Gesellschaft zu beschreiben weiß, fast wie wenn sich erst jetzt Albees Kritik am amerikanischen Traum bestätigen würde. Gegenüber den steinreichen Vätern und Schwiegervätern fühlen sich wohl alle als Absteiger. Am Beginn der Spielzeit setzt Intendant Kusej also großes Schauspieltheater - "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" erscheint dabei wie eine, wenn auch tödlich endende Fortsetzung von Karl Schöherrs Drama "Weibsteufel", jenem ebenfalls noch immer aktuell wirkenden Kampf zweier Män- ner mit der Frau. Kusejs sechs Jahre alte Akademietheaterinszenierung von Schönherrs Stück (mit Birgit Minichmayr und nun statt Nicholas Ofczarek mit Tobias Moretti) ist im Münchner Residenztheater noch immer auf dem Spielplan. (Bernhard Doppler aus München, DER STANDARD, 20.9.2014)