Raphael von Bargen als Enrique in "Carambolage".

Foto: Christian Mair

Wien - Königsdrama: Das klingt nach den wuchtigen, saftigen Tragödien der Klassik. Nach Shakespeare klingt das, nach Konflikten, die sich nur auf Gedeih oder Verderb lösen lassen. Die Folie solcher Dramenstoffe in die Gegenwart überführen zu wollen: ein ebenso ambitioniertes wie spannendes Unterfangen.

Gewagt hat das die Dramatikerin Anna Poloni mit Carambolage oder Der schwarze Punkt. Das nämlich ist, so Regisseurin Anna Maria Krassnigg, ein Stück "wie ein zeitgenössisches Königsdrama, das die Frage der Ablöse der alten politischen und moralischen Systeme behandelt."

System ist tatsächlich ein gutes Stichwort, um sich diesem Stück anzunähern. Poloni lässt darin fünf Protagonistinnen und Protagonisten mit Karacho aufeinander los. Jede dieser fünf Figuren hat ihren Platz im System. Da ist allen voran Dornstrauch, Leiterin eines mächtigen Medienkonzernes: eine Frau, die ihre eigene Person, ihre Weiblichkeit, Überzeugungen, zuschleifen und anpassen musste, um ihre Funktion ausfüllen zu können. Sie repräsentiert die Medien und vor allem deren Funktion als Öffentlichkeit, als Beobachterin und Urteilerin.

Zorniges Bürschchen

Auf der anderen Seite steht Don Gian: Als Besitzer eines Nachtclubs steht er eher für die niedrigen Instinkte, für Ausschweifungen und Kriminalität. Zwischen den beiden: Dornstrauchs Sohn Enrique, ein zorniges junges Bürschchen mit Anleihen bei russischen Nihilisten aus dem 19. Jahrhundert. Nicht umsonst finden im Stück auch Dostojewskis Dämonen Erwähnung. Das wilde Treiben Enriques wird von Brand aufgedeckt, einem jungen, übermotivierten Redakteur, der bald keiner mehr sein wird. Und schließlich gibt es noch Engel/Angie. Sie ist Dornstrauchs Sekretärin wie auch Prostituierte (was wohl im Stück fast auf dasselbe hinausläuft) und blickt schreckensstarr auf dieses Treiben, ganz ähnlich dem Angelus Novus von Paul Klee. Beide Engel stehen still in einem tosenden Sturm der Veränderung.

Wie bereits in Polonis hochgelobtem, im Salon 5 aufgeführtem Camera Clara geht es hier um Menschen, die das Gebaren der Gesellschaft wie von einem Außenposten aus beobachten. Aus diesen Beobachtungen resultiert in Carambolage der Wunsch nach einer ebensolchen: einem Umsturz der Verhältnisse. Und wie es sich in einem Königsdrama gehört, müssen die alten Herrscherfiguren abtreten, damit etwas Neues beginnen kann. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 26.9.2014)