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Mit Wein und Knoblauch heuer vitale 88 geworden: Friedrich Cerha.

foto: APA/HERBERT NEUBAUER

STANDARD: Als Udo Jürgens "Mit 66 Jahren" sang, war das ein ansehnliches Alter. Sie sind heuer 88 geworden. Woher nehmen Sie die Kraft und Inspiration?

Friedrich Cerha: Ich war von Kindesbeinen an dem Wein zugetan (schon in der 5. Generation) und habe gerne viel Knoblauch gegessen. Bulgarien hat den größten Knoblauchkonsum unter allen Staaten Europas und es hat den höchsten Prozentsatz an über 100-Jährigen. Zur Inspiration: Kommt sie von oben, von unten, aus dem geistigen Bewusstsein, aus dem Unterbewussten, aus der Umgebung, aus der Erfahrung, oder aus allem zusammen? Wer mag das sagen?

STANDARD: Anders als viele Ihrer Kollegen haben Sie aus Ihrem Schaffensprozess und Ihren häufig im Traum auftretenden kompositorischen Ideen nie ein Geheimnis gemacht. Hat sich dies im Laufe der Zeit verändert?

Cerha: Nein.

STANDARD: Schon ein anderer berühmter Komponist hat mit einem heiteren Alterswerk überrascht. Warum haben Sie gerade jetzt eine komische Oper geschrieben?

Cerha: Ich wollte eigentlich die Herausforderung, die ein großes Unternehmen wie eine Oper stellt, nicht mehr auf mich nehmen. Mein Freund Peter Wolf – er war übrigens nicht der Einzige – hat mich mehrere Jahre immer wieder gedrängt, doch eine komische Oper zu schreiben. Ich habe immer entschieden nein gesagt. Aber eines Tages kam er mit einem Libretto nach einer einaktigen Komödie „Eins, zwei, drei“ nach Franz Molnar. Er hat nur die Grundstruktur des Stücks benützt. Das Detailgeschehen und die Sprache sind völlig neu.

STANDARD: Und das hat Sie gleich überzeugt?

Cerha: Ich hatte zuerst Vorbehalte, es gab lange Diskussionen und zahlreiche Versionen. Schließlich hat mich der Stoff aber so gereizt, dass ich am Libretto weitergeschrieben habe. Die Arbeit daran, das Feilen am Text mit dem Ziel, Musik und Text in Eins zu bringen, hat bei allen meinen Opern länger gedauert als die Komposition. In diesem Fall drei Jahre. Das Thema ist die Machbarkeit von Karrieren. Ich habe ja in meinem langen Leben beobachtet, dass Karrieren seltener durch ehrgeizige Impulse und Initiativen als durch Zweite und Dritte gemacht werden und so manche in Karrieren eher unfreiwillig hineinschlittern, wie es ja auch in meiner bescheidenen Karriere der Fall war.

STANDARD: Ihre Laufbahn war anfangs langsam, aber stetig. Wie geht es dem „Helden“ in Ihrem Stück?

Cerha: Hier im Stück ist es ein abrupter Vorgang. Aus einem einfachen, unbedeutenden Fahrradboten wird durch den "Onkel Präsident" in einer Stunde ein Generaldirektor, Senator und Graf – und damit ein präsentabler Schwiegersohn für das Millionärstöchterchen eines Geschäftsfreunds, von dem viel für das eigene Geschäft abhängt. Natürlich denkt man dabei an die "Senkrechtstarter", die es in der Politik, in der Wirtschaft und selbst in der Wissenschaft gibt, und auch an die Machenschaften, die zu ihrer Installierung führen, ja schier unvermeidlich erscheinen.

STANDARD: In Ihren anderen Bühnenwerken ging es um große tragische Figuren, um Einsame oder Kämpfer oder beides: Baal, der Rattenfänger oder der Riese vom Steinfeld sind allesamt traurige Gestalten. Besonders in letzterem gibt es allerdings auch eine starke groteske Ebene. Inwiefern bleibt „Onkel Präsident“ doch dem Gedanken verpflichtet, gesellschaftliche Missstände zur Kenntlichkeit zu entstellen?

Cerha: Baal und der Rattenfänger sind tragische, aber keine traurigen Gestalten. Es sind vitale, starke Naturen, dem Leben zugewandt. Sie stehen nur beide außerhalb der Gesellschaft, können deren Normen nicht akzeptieren. Etwas davon war auch mein Leben. Geprägt durch Kindheitserlebnisse im Bürgerkrieg 1934, dann im Nationalsozialismus, durch das Soldat-sein-müssen – aus dem ich bekanntlich zweimal desertiert bin – und schließlich auch durch die Arbeit mit meinem Ensemble „die reihe“, deren Programme mir die Feindschaft einer Öffentlichkeit eingetragen haben, die mich als Zerstörer der abendländischen Musikkultur betrachtet hat, während ich selbst immer mit allen Fäden dieser Tradition verhaftet war. So konnte ich mich nicht als Mitglied der Gesellschaft empfinden, sondern als Einzelner dieser Gesellschaft gegenüber. Auch der „Riese“ ist auf Grund seiner schieren Größe ein Außenseiter. Er ist aber tatsächlich eine „traurige Gestalt“; er ist ein evidentes Opfer der Gesellschaft, in der er lebt.

STANDARD: Gilt das auch für den einfachen Fahrradboten in "Onkel Präsident"? Ist auch er ein "Opfer"?

Cerha: Ja, bis zu einem gewissen Grad, auch wenn der sich – unter komischen Umständen und nicht ohne Widerstand – seiner gewaltsamen "Umwandlung" letztlich fügt. Gesellschaftliche Aspekte liegen aber – wie erwähnt – auch auf einer anderen Ebene. Ein Satz des Präsidenten, der übrigens seine eigene Rolle im Spiel durchschaut und nicht unkritisch sieht: "Alle Menschen arm oder reich zu machen ist gleich gerecht, aber ungleich schwerer."

STANDARD: Heitere bzw. komische Werke gibt es von Ihnen eigentlich eine ganze Menge. Schubert meinte ja, Musik könne gar nicht lustig sein. Inwieweit kann sie es – abgesehen vom Text – doch?

Cerha: Musik kann vergnüglich sein durch Pointierung, Gegensätze, Überraschungen, "leggiero-Charakter", Leichtigkeit, sogar Hemdsärmligkeit. Aber richtig lustig kann sie wohl nicht sein.

STANDARD: Zur Vorlage "1, 2, 3" von Ferenc Molnár haben Sie gemeinsam mit Ihrem Librettisten Peter Wolf die Figur des Komponisten dazuerfunden. Inwieweit ist die Rahmenhandlung autobiographisch, inwieweit – mit vielen Ähnlichkeiten – Richard Strauss‘ "Ariadne" und "Capriccio" verpflichtet?

Cerha: Ich weiß nicht, ob Peter Wolf bei der Konzeption des Komponisten, den er erfunden hat, über den Hinweis auf mein Alter am Anfang hinaus wirklich an mich gedacht hat. Ich habe mich jedenfalls nicht mit ihm identifiziert, - sonst hätte ich mich sicherlich zitiert. Im Falle eines Anrufs des Präsidenten im Stück, der bei mir in dreißig Minuten einen Hochzeitsmarsch bestellt, zitiere ich aber den Marsch aus der Szene in der die Gemeinde den zum toten, aber zum Fremdenverkehrsidol gewordenen "Riesen vom Steinfeld" feiert.

Ein Bezug zu "Ariadne" oder "Capriccio", der formal naheliegt, war thematisch nicht vordergründig intendiert. Die Situation des "Stücks im Stück" wird eher durch größere und kleinere Brüche im Stück selbst weiterverfolgt.

STANDARD: Sie nennen Ihr Stück eine "Farce" und haben die Bezeichnung "Oper" vermieden. Ist es dennoch eine? Was kann diese Gattung heute noch bedeuten?

Cerha: Bei der Niederschrift des Begriffes Farce habe ich an die Stelle im 3. Akt des "Rosenkavalier" gedacht, mit der die Marschallin dem Kommisarius gegenüber die Vorgänge charakterisiert. Der Begriff meint ein Possenspiel, in dem mit Menschen spielerisch wie mit Marionetten umgegangen wird; er meint hingegen nicht eine Groteske etwa im Sinn der "Nase" von Schostakowitsch.

STANDARD: "Onkel Präsident" ist voller ironischer Zitate aus der Opernliteratur. Was bedeutet Ihnen diese Tradition als Hörer und als produktiver Komponist?

Cerha: Ich habe in vielen meiner Werke mit Vergnügen Zitate gebraucht. Die meisten sind so versteckt, dass sie erst bemerkt werden, wenn ich darauf aufmerksam mache; so auch im "Präsidenten", vom Wienerlied bis zum Wallfahrerlied "O Maria hilf". Aber es gibt auch offensichtliche Zitate wie natürlich besonders im Vorspiel, dessen Thema ja das Genre Oper ist, und am Schluss des Stücks beim Auftritt der amerikanischen Eltern von Melody Moneymaker oder beim Auftritt der zu früh eintreffenden japanischen Handelsdelegation die amerikanische, bzw. die japanische Hymne, die allerdings kaum jemand kennt. Und an der Stelle, an der Melody gegenüber dem Präsidenten sagt, dass sie ihren Peepi schon aus seinen revolutionären Ideen herausgerissen hat, erklingt im Orchester die Internationale.

STANDARD: In diesem dichten Geflecht von Zitaten spielen unter anderem auch Mozart und Verdi eine Rolle …

Cerha: Im Vorspiel ist immer wieder vom "Falstaff" die Rede und ich glaube, dass Peter Wolf über den Reiz eines Vergleichs zu meinem hohen Alter hinaus wusste, dass ich eine besondere Beziehung zu diesem Werk habe, das mir in einer großartigen Interpretation von Bernstein in lebhafter Erinnerung ist.

Ein Takt aus dem 1. Akt im "Präsidenten" hat eine programmatische Funktion. (Ich habe erst später erinnert, dass diese Floskel schon in Mozarts Don Giovanni vorkommt.) Gegen Schluss meines Stücks erklingt in der Flöte auch das Thema der Schlussfuge des Falstaff.

Ich möchte aber betonen, dass mein Bewusstsein für den Abstand des meinigen zum Werk von Verdi im Text mehrfach artikuliert ist.

STANDARD: Sie haben nicht einfach das fertige Libretto übernommen, sondern sich – wie andere große Opernkomponisten vor Ihnen – aktiv in die Gestaltung der Handlung eingebracht. Können Sie dafür Beispiele nennen?

Cerha: Es gibt zwei Elemente, die ich neu ins Libretto eingebracht habe. Das eine ist ein mit sforzati versehenes Motiv im lombardischen Rhythmus in den gedämpften Posaunen, das inmitten des komödiantischen Treibens als dramatische Insel steht und das Sich-fremd-fühlen des Fahrradboten Povolny in einer neuen gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung charakterisiert, in der er sich nicht zurechtfindet. Asylanten kennen dieses Sich-fremd-fühlen, allerdings in unvergleichlich tragischerer Form. Das zweite: Ich war immer fasziniert vom Phänomen der romantischen Ironie und ich liebe den "Gestiefelten Kater" von Ludwig Tieck und seine Technik des romantisch-ironischen Theaters. Auch ich habe im "Präsidenten" die Bühnenrealität in verschiedenen Graden mehrfach gebrochen, - abrupt in Disputen, zu denen es zwischen Präsident und Kapellmeister kommt, subtiler in Debatten der Darsteller untereinander. Natürlich betonen die Unterbrechungen hier vor allem das Spielerische des Geschehens.

STANDARD: Die spielerische, witzige Sprache des Librettos muss Ihnen entgegengekommen sein, oder?

Cerha: Ja, aber da möchte ich besonders auf ein Moment aufmerksam machen: Die von Peter Wolf gewählten Namen der Darsteller, die sich auf ihre Position, ihre Profession oder ihren Charakter beziehen (z. B. Flink, Flugs, Flott für die Sekretärinnen, Dr. Pillerl für den Betriebsarzt oder Schrullenhuff-Wullersdorff für den Grafen) sind nicht ein Ausfluss kindischer Primitivität, sondern ein klarer Bezug vor allem auf Nestroy, aber auch Herzmanovsky-Orlando, in deren Tradition die Komödie schließlich steht. Dass der Fahrradbote einen eigenen Namen hat, den er schließlich verliert, ist kein Zufall.

STANDARD: Sie sagten vor Jahren, dass Sie nicht glauben, einen "Stil" zu haben. Dennoch scheint es in den letzten Jahren einen zugleich gelösten und zugleich höchst expressiven Tonfall in Ihrer Musik zu geben. Erkennen Sie das auch?

Cerha: Ich erinnere mich nicht, gesagt zu haben, ich hätte keinen Stil. Wenn ja, dann meinte ich, dass ich die Wiederholung von gleichen Manieren lange sehr bewusst vermieden habe. Inzwischen bin ich gegenüber der Wiederholung von Grundsätzlichem toleranter geworden, nicht zuletzt deswegen, weil ich beobachtet habe, in welcher Weise sich unsere großen Meister wiederholt haben. Höchst expressiv war meine Musik schon immer; das unterscheidet ja z. B. meine "Spiegel" von anderem – wie etwa Ligetis "Atmosphères" – das gleichzeitig entstanden ist. Wenn Sie auch einen Zug zu größerer Gelöstheit erkennen, so mag das richtig sein. (Daniel Ender, DER STANDARD, 11./12.10.2014)