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Soll man Kinder mit auf den Friedhof nehmen? Ja, empfehlen die Expertinnen.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Linz - Was tun an Allerheiligen? Nehmen wir den Nachwuchs mit zum Totengedenken auf den Friedhof. Muss das Kind vor dem Grab eines Verstorbenen stehen, den es zu Lebzeiten nie kennengelernt hat? Fragen, die in Familien für Diskussionen sorgen, die jedoch von Experten ohne zu zögern mit Ja beantwortet werden. Zumindest sind sich darin Michaela Helletzgruber, Notfallseelsorgerin beim Roten Kreuze sowie Trauerbegleiterin der Diözese Linz und Marina Gottwald, Psychotherapeutin in der Kinderpsychiatrie der Landesnervenklinik Wagner Jauregg, einig.

Mitnehmen, egal wie alt

Ihre Empfehlung ist es , das Kind mitzunehmen, egal wie alt es ist. Denn je früher sich Kinder mit dem Thema Tod beschäftigen, um so selbstverständlicher könne das Verhältnis dazu werden. Helletzgruber führt sich als Beispiel an: "Ich bin schon als kleines Kind mit Krankheit, Leid, Tod konfrontiert gewesen. Für mich war das etwas ganz Normales und wenn jemand gestorben ist, dann habe ich auch erfahren, dass es danach weitergeht. Es war zwar schwierig und schmerzte, aber es ging weiter. Wenn man mit diesem Gefühl aufwächst, dann entwickelt sich nicht so eine Angst, die manche Erwachsene haben." Sterben gehöre zum Leben, sei ein natürlicher Teil des Lebens und müsse auch so gewürdigt werden. Dazu dienen Feiertage wie Allerheiligen, meint Gottwald. Diese Grundeinstellung werde in unserer Leistungsgesellschaft jedoch zurückgedrängt: "Der Tod hat nur mehr ganz wenig Platz. Früher gab es etwa noch viel mehr Trauerrituale."

Kein Tabuthema

Um zu verhindern, dass er auch für den Nachwuchs zum Tabuthema wird, könnten laut Therapeutin, schon kleine Anlässe genutzt werden, wie ein toter Vogel, der in der Wiese liegt. Da ließe sich etwa der Tod mit einem Abschiedsritual verbinden, indem man gemeinsam das Tier begräbt. Dadurch bekämen die Kinder einen ersten Bezug zum Thema Tod, der noch nicht so sehr mit Tragik verbunden ist, wie wenn ein Angehöriger stirbt. Diese Chance biete auch der Gräberbesuch zu Allerheiligen, erklärt Gottwald. Allerdings müsse das Kind darauf vorbereitet werden, "wie bei allen anderen Ritualen des Lebens auch, einer Hochzeit oder einer Geburtstagsfeier. Da bespricht man mit dem Kind auch, was einen erwartet."

Offenheit und Transparenz sei dabei sehr wichtig. Den Tod nicht in beschönigende Worte hüllen, um ihm dadurch den Schrecken zu nehmen, denn das verstehen die Kinder nicht, warnt Helletzgruber. Ausdrücke wie "die Oma ist auf einer langen Reise", können verhindern, dass die Kinder die Endlichkeit des Todes begreifen lernen. Denn von einer Reise kehre man zurück. Noch problematischer werde es, wenn man ihnen erzähle, dass die Person sanft eingeschlafen sei. Dann wiederum bestehe die Gefahr, dass sich die Kinder auf einmal vor dem Bettgehen fürchten, weil sie denken, dass auch sie beim Schlafengehen sterben, wissen die beiden Frauen aus ihrer Berufserfahrung.

Auch eine Glaubensfrage

Welche Vorstellung vom Tod man dem Kind vermittle, ist auch eine Glaubensfrage, eine Frage der Religiosität. Wichtig sei aber vor allem, dass die Eltern ein einheitliches Bild weitergeben. Sprich, der Papa nicht sagt, der Opa ist verschwunden, die Mama jedoch meint, er sitzt auf einer Wolke. Man kann ja sagen, der Körper liege im Sarg auf dem Friedhof, die Seele sei an einem anderen Ort. Den könnte man sich mit dem Nachwuchs gemeinsam überlegen, rät Gottwald. Diese Trennung von Körper und Geist versucht die Trauerbegleiterin der Diözese Linz den Kindern symbolisch mit einem Sonnenblumenkern zu veranschaulichen. Bei Begräbnissen erhalten sie von Helletzgruber einen solchen, den sie beim Grab oder daheim in einem Blumentopf in die Erde geben: " Die Hülle bleibt für immer unter der Erde, doch daraus entsteht die Blume als etwas Neues."

Gleichzeigt müsse man Kindern aber auch die Endgültigkeit des Todes zu begreifen lernen. Dies gehe laut Gottwald nur, indem man mit ihnen regelmäßig bespricht, dass der Verstorbene nie mehr wieder kommt. "Dabei kann es durchaus geschehen, dass das Kind auf einmal andere Gefühle als Trauer entwickelt. Vielleicht wird es wütend, weil die Oma es verlassen hat, ist enttäuscht von ihr. Oder aber das Kind bekommt Angst, weil es denkt, was ist, wenn auch meine Mama stirbt. Wer kümmert sich dann um ich?" Auch darauf sollten die Eltern Antworten haben, die dem Nachwuchs die Sicherheit gebe, nicht allein gelassen zu werden.

Kinder verdrängen nicht

Was man jedoch auf keinen Fall sagen dürfe: "Du bist zu klein, du versteht das noch nicht. Man ist nie zu jung für das Gefühl der Trauer," betonen beide Frauen. Kinder würden häufig nur anders trauern, sie haben andere Ausdrucksmöglichkeiten. Trauerregeln erlerne man erst im Erwachsenwerden. Kinder haben zum Beispiel noch eine natürliche Schutzhaltung, das merke die Notfallhelferin oft bei ihren Einsätzen. "Als ein Vater nach einem Herzinfarkt tot am Küchenboden lag, meinte der Sohn nach einiger Zeit, dass er jetzt fernsehen wolle. Kinder halten tragische Situationen nur so lange aus, wie es ihnen gut tut, dann fordern sie einen Ausstieg, die wir Notfallhelfer auch geben", erklärt Helletzgruber. Dieses Verhalten habe jedoch nichts mit Verdrängen zu tun.

Oder aber Kinder beschützen ihre Eltern, indem sie ihr Leid nicht zeigen, weil sie sehen, die Eltern seien ohnehin schon so traurig. Daraus jetzt den Rückschluss zu ziehen, dass Eltern ihre Trauer nicht zeigen sollen, wäre aber falsch, sagt Gottwald. Trauer müsse vorgelebt werden, sonst werde sie ein Tabugefühl. "Eltern sind Vorbilder, Kinder beobachten uns und sehen, wie gehen wir mit Trauer um." Dazu gehöre aber auch Lösungen zu finden, indem man besagte Rituale einführe, auf den Friedhof gehe oder daheim eine Kerze vor dem Bild des Verstorbenen anzünde. Was Helletzgruber dabei besonders wichtig ist: Die Trauer soll auf gewisse Orte beschränkt sein. "Es braucht auch den neutralen Raum, in dem das Leben wie gewohnt weitergeht." Sei es im Kindergarten, der Schule oder bei Freunden. (derStandard.at, Kerstin Scheller, 31.10.2014)