Zeitreise bei Meinl: Die Küche Alexander Davids wirkt wie ein exaktes Zitat jener seines Mentors Joachim Gradwohl.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Ochsenschwanzravioli im Kürbissud.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wer in Wiens exklusivem Supermarkt einkaufen möchte, der muss sich seit Monaten um Gerüste winden und hinter Bauverschläge schlängeln, um überhaupt den Eingang zu finden. Meinl-Geschäftsführer Udo Kaubek ist pessimistisch, dass sich dies vor Jahreswechsel ändern wird - trotz Zusicherung des Eigentümers, die Renovierung des Hauses mit dem souveränen Graben-Blick vor dem Weihnachtsgeschäft abzuschließen. Also sitzt man auch im Restaurant des Marktes mit Blick auf das Baugerüst.

In Küche und Service hingegen scheinen die Umbauarbeiten fürs Erste abgeschlossen, Kaubek lehnt sich sogar mit der Ansage aus dem Fenster, nunmehr "an alte Zeiten" anschließen zu wollen - womit er nur jene meinen kann, da Meinl noch zu den allerersten Adressen zählte und die Tische an den orangeroten Polsterbänken mitunter die am heißesten begehrten der ganzen Stadt waren.

Nun ist das viele Jahre her. Christian Petz, der den Meinl einst fulminant eröffnete, wird (mit dem Gußhaus in Wien-Wieden) demnächst Beislwirt, dessen damaliger Nachfolger Joachim Gradwohl sucht noch ein solches - mit Alexander David konnte jetzt aber immerhin ein Gefolgsmann Gradwohls verpflichtet werden. Und auch Michael Wiesinger, der noch unter Obersommelier Hermann Botolen werkte, wurde aus der Versenkung geholt, um den Restaurantleiter zu machen. Ihm steht mit Patrick Hopf ein weiterer Habitué der Wiener Nobelgastronomie als Sommelier zur Seite.

Die Weinkarte ist unverändert eine der gewichtigsten der Stadt - mit Betonung auf unverändert. Hier werden sie noch in exclusio zelebriert, die alten Meister aus Wachau, Südsteiermark, Burgenland und den großen Weinregionen der Welt- neue Entwicklungen oder gar Naturweine (huch!) wird man vergeblich suchen. Wobei: Bei den Preisen darf Hopf etwas moderater zur Sache gehen, womit der eine oder andere Schatz auf recht günstige Art aus dem Keller gehoben werden kann. Triebaumers grandioser Blaufränkisch Oberer Wald 2000 etwa muss um 48 Euro fast als Mezzie gelten. Beim Bier, wo ausschließlich Konzernplörre gezapft wird, gibt man sich explizit rückständig.

Souveräner Samt

Alexander David liefert in der Küche eine überzeugende Vorstellung, über weite Strecken meint man, wie in einer Zeitreise vor Gradwohl-Tellern aus den frühen Nullerjahren zu sitzen. Wenn dies das Ziel der Übung war, darf sie als gelungen betrachtet werden. Souverän samtige, aber keineswegs obersschwere Krustentiercremesuppe etwa wird mit mild exzentrischen Aprikosenravioli (sic!) kombiniert, die mit zarter Süße, ideal bissfester Konsistenz und gekonnter Würzung einen interessanten Kontrapunkt setzen. Die Einlage aus gedämpften Hummerbeinen gerät saftig, kommt aber, wie so oft, nicht ganz ungummig daher. Dass Hopf einen Riesling Heiligenstein 2006 von Hirsch glasweise dazu einschenkt, ist einer der Vorzüge, solche Köstlichkeiten in einem echten Luxustempel vorgesetzt zu bekommen.

Ochsenschwanzravioli im Kürbissud geraten durch und durch klassisch, prall und dicht die Fülle, gekonnt abgeschmeckt, al dente - in Summe aber so unaufdringlich, dass man aufpassen muss, nicht vor dem Zahlen bereits vergessen zu haben, was es noch mal genau zu essen gab.

Beim Waller mit Lardo und karamellisiertem Knoblauch auf Linsengemüse kann das nicht passieren, dafür ist die gut zwei Finger dicke, ideal zur Glasigkeit geschmeichelte Schnitte einfach zu gut, mitsamt einer fett und süß und umamigeil vor sich hinschmelzenden Lardoscheibe obendrauf. Die Aussicht auf den Graben ist einstweilen noch getrübt - aufs Essen im Meinl aber darf man sich nunmehr wieder uneingeschränkt freuen. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 7.11.2014)