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Der italienische Bassbariton Ferruccio Furlanetto (65) gibt ab Samstag an der Wiener Staatsoper den Fürsten Iwan Chowanski in Modest Mussorgskis Oper "Chowanschtschina".

Foto: APA/Neubauer

Wien - Dass Ferruccio Furlanetto ein kluger Sänger ist, liegt allein aufgrund der Dauer seiner Karriere auf der Hand. Aber es kommt auch nicht alle Tage vor, dass der Protagonist einer Opernpremiere selbst auch in Textform über das Stück spricht. So geschehen in der aktuellen Staatsopernzeitschrift (Prolog), wo der 65-Jährige über Modest Mussorgski meint: "Die Art und Weise, wie er gesellschaftliche und menschliche Probleme anvisierte und ansprach, wie er Details erfasste und das reale Leben auf ein Blatt Papier zu bannen verstand, ist bis heute beeindruckend."

Dann kommt eine Aussage, die von höchster Wertschätzung für den Komponisten zeugt, auch wenn sie überraschend klingt: Der Russe, in dessen Oper Chowanschtschina der Bassbariton die Hauptrolle des Fürsten Iwan Chowanski singt, sei "eine Art Mozart" gewesen. Wie das gemeint war, erläutert Furlanetto im Gespräch so:

"In dem Sinn, dass Mussorgski wie Mozart eine eigene Dimension verkörpert, einen eigenen Planeten. Ansonsten sehe ich keine Ähnlichkeiten, außer dass sie beide in Verbindung mit einer höheren Macht standen. Mussorgski war seiner Zeit unglaublich weit voraus, und niemand konnte ihn richtig verstehen, wie wir das heute könnten. Sogar seine Freunde wie Rimsky und andere haben sich die Freiheit genommen, seine Werke zu verändern, die Instrumentierung abzurunden. Aber wenn man ihm die Kanten nimmt, nimmt man ihm auch seine Persönlichkeit."

Mit dem Finger schnippen

Rasch kommt das Gespräch auf Mozart und Verdi, das heißt auf jene Produktionen, die in den bislang 40½ Jahren seiner Karriere eine besondere Rolle gespielt haben - wie er betont. Unter den Dirigenten seien Claudio Abbado und Riccardo Muti wichtig gewesen, ja, aber einen hebt er doch als konkurrenzlos hervor: "Es war Karajan, der wirklich mein Leben verändert hat."

"Karajan war jemand, der über allen anderen stand und plötz- lich einen jungen Sänger auswählte, den am nächsten Tag die ganze Welt kannte. Das ist mir mit dem Don Carlo 1986 (bei den Osterfestspielen Salzburg, Anmerkung) passiert. Ich hatte einen Vertrag als Ersatz für José van Dam, der erkrankte. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich zum Zug kommen würde. Karajan hätte nur mit den Fingern schnippen müssen, und große Kollegen wären sofort eingesprungen. Ich habe dann nur die Generalprobe gesungen und dann gleich die Premiere mit der CD-Aufnahme und der Fernsehproduktion - ohne eine Minute geprobt zu haben."

Die Stimme pflegen

Allerdings kannte Karajan bereits Furlanettos Interpretation der großen Arie von Philipp II. von einem Vorsingen drei Jahre zuvor und meinte, er solle nur so singen wie damals, der Maestro würde ihm dann folgen: "Das habe ich sonst nie in meinem Leben je von einem Dirigenten gehört", berichtet der Sänger, der meint: "Viele Jahre in diesem Beruf tätig sein zu können - was mir zum Glück gelungen ist - ist ein Segen. Denn auf dem Weg kann vieles passieren, wenn man die falschen Stücke zu einer bestimmten Zeit singt. Wie viele junge Sänger kommen heraus, mit wunderbaren Stimmen, die dann alles annehmen, was sie angeboten bekommen, und nach ein paar Jahren sind sie kaputt. Das ist furchtbar. Auch wenn man mit der Stimme ein großes Geschenk von der Natur erhalten hat, muss man sie richtig führen und pflegen."

Und: "Wir sind wie Athleten, und wenn einen die Natur dafür ausstattet, 100 Meter zu rennen, sollte man nicht zehn Kilometer rennen. Das ist sehr schwierig, wenn man jung ist."

Ein Thema ist Furlanetto noch ein Anliegen - die Zusammenarbeit mit Regisseuren:

"Jean-Pierre Ponelle, Giorgio Strehler, Franco Zeffirelli und Patrice Chéreau waren absolute Genies im spezifischen Feld der Opernregie. Sie kamen nicht vom Schauspiel, vom Film oder vom Broadway, sie waren Opernprofis. Für mich war es eine ungeheure Hilfe, das erste Mal Figaro oder Don Giovanni mit ihnen zu machen. Heute sind solche echten Profis leider sehr rar geworden, viele kommen aus anderen Bereichen und lassen es an wirklicher Probenarbeit mangeln, kennen manchmal nicht einmal den Text des Stücks. Stattdessen wird das Publikum ständig überrumpelt und überrascht. Für jemanden, der die guten Zeiten erlebt hat, ist das ein bisschen traurig." (Daniel Ender, DER STANDARD, 15./16.11.2014)