Im Wiener Tiergarten Schönbrunn spaziert man an jeder Ecke an Diplomarbeiten und Dissertationen vorbei.

Hendrich

Beim Enrichment geht es um Wege, die Tiere sinnvoll zu beschäftigen.

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Auch diese Futterbox wurde in einer Diplomarbeit designt.

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Wien - Ein Tiergarten ist im Kontrast zur freien Wildbahn recht überschaubar. Jedem Tier sein Schrebergarten. Und weder dem Besucher noch dem Pfleger noch dem Zoologen kann es entwischen. Faszinierend ist daher, wie viel Grundlagenforschung hier täglich betrieben wird, denn obwohl die Zoologen die Zootiere dauernd vor der Nase haben, gibt es zahllose Dinge, die man über diese Tiere noch nicht weiß. Dieses dichte Forschungsterrain nutzen auch viele Studierende.

Im Wiener Tiergarten Schönbrunn spazieren wir an diesem Nachmittag im November an jeder Ecke an Diplomarbeiten und Dissertationen vorbei, zum Beispiel wenn man zum Gehege der Großen Pandas kommt, wo Yang Yang lässig einen Bambus nach dem anderen schmaust. Die Zoologin Martina Pertl promovierte über die innere Uhr der Großen Pandas. Sie sind ein besonders dankbares Forschungsobjekt in Schönbrunn, denn hier gelang die Seltenheit, dass auf natürlichem Weg zwei Pandas in einem Zoo zur Welt kamen.

Pertl nutzte die Gelegenheit und beobachtete den 2007 geborenen Fu Long und seinen drei Jahre jüngeren Bruder Fu Hu in ihren ersten drei Lebensmonaten - rund um die Uhr mittels Videoüberwachung. Die Chronobiologin konnte so in ihrer Dissertation, die sie vor wenigen Wochen fertigstellte, den biologischen Rhythmus der Tiere genauer beschreiben. Wichtig sind ihre Ergebnisse für die Tierhaltung im Zoo, aber auch für die Aussiedelung der bedrohten Tierart. Denn sie geben Aufschluss darüber, wie die Pflege im Tiergarten den Rhythmus der Pandas beeinflusst, was für eine gelungene Auswilderung berücksichtigt werden muss. Damit Studierende hier forschen können, kooperiert der Tiergarten mit der Universität für Bodenkultur, der Veterinärmedizinischen Uni und dem Biologie-Institut der Uni Wien.

Aber auch Historiker, Künstler und Architekten haben schon im Zoo gearbeitet, erzählt Wiebke Hoffmann, die Schönbrunner Kuratorin für Forschung und Artenschutz. Der Tiergarten unterstützt strukturell und teils finanziell.

Fellige Forschungsobjekte

In ihren Tiervorlieben unterscheiden sich Wissenschafter scheinbar nicht maßgeblich von Vertretern anderer Berufsgruppen: Es wird am liebsten Felliges untersucht, also Säugetiere.

Der Arbeitsplatz von Doris Preininger vom Institut für Integrative Zoologie an der Uni Wien hier in Schönbrunn sieht besonders spektakulär aus. Im Aquarien- und Terrarienhaus, hinter den Kulissen, vorbei an der Wasseroberfläche des riesigen Korallenriffbeckens, das die Besucher von unten betrachten, schlendert sie durch einen Gang voller Wasserbecken

aller Größen.

Hier werden Fische, Schildkröten, Algen und Quallen zu Forschungs- und Artvermehrungszwecken gezüchtet - so auch die über 30 Arten des vom Aussterben bedrohten Aphanius, des Mittelmeerkärpflings. In einer Diplomarbeit wurde hier sogar eine neue Art beschrieben. Preininger und Hoffmann machen sich keine Sorgen, dass die Beschäftigung für Studierende je knapp wird - überall Forschungslücken. Derzeit seien etwa 20 wissenschaftliche Arbeiten im Entstehen.

Ein großangelegtes Forschungsprojekt ist derzeit dem Winkerfrosch aus Borneo auf der Spur, dem auch ein Gutteil von Preiningers Dissertation gewidmet war. Darin untersuchte sie, welche Entwicklungen dazu führten, dass diese Frösche tatsächlich winken.

Auch bei Amphibien und Reptilien gehen Forschung und Artenschutz meist Hand in Hand. Das ist auch bei der Batagur-Flussschildkröte aus Bangladesch der Fall. In Schönbrunn sind davon vier Stück zu Hause, und der Tiergarten ist in das Arterhaltungsprojekt vor Ort involviert.

Eine Veterinärmedizin-Studentin wird im Frühjahr nach Bangladesch reisen, um die wenigen Nester, die man ausfindig machen konnte, zu beforschen. Die Ergebnisse sollen bei der Nachzucht und Wiederansiedelung helfen. Denn die Ausdifferenzierung des Geschlechts der Schildkröte entscheidet sich durch die Nesttemperatur. Untersucht wird, bei welchen Temperaturen männliche und weibliche Tiere entstehen. Preininger steht jetzt im Tunnelaquarium der Arapaimas. Hier wurde nicht verkitscht. Dunkles Wasser, ein paar Steine, ein Baumstamm. Sie ist zufrieden, dass das Becken tatsächlich nach Amazonas aussieht. Die zwei gruseligen, langgezogenen Fische ziehen ihre Kreise und tauchen immer wieder auf, denn sie sind Luftatmer. Wie oft sie genau Luft holen, weiß man erst seit kurzem - Studierende saßen hier und machten Stricherllisten.

Diplomierte Futterboxen

Schwieriger zu fassen sind die Schönbrunner Krähen. Sie sind freifliegend, aber im Zoo besonders gut zu beobachten, denn sie sind an Menschen gewöhnt und finden viel Futter. Acht Studierende sind in dem aktuellen Forschungsprojekt von Christine Schwab involviert. Gefragt wird nach den spezifischen Beziehungen zwischen den Vögeln, danach, wie sie Gruppen bilden, Sympathien und Antipathien pflegen.

An das Futter der Giraffen kommen die gierigen Schnäbel nicht so leicht heran. Mit ihrer biegsamen Zunge holen die Giraffen Futterpellets aus labyrinthischen Boxen. Bei der Enrichment-Methode, gehe es darum, Wege zu finden, die Tiere sinnvoll zu beschäftigen, sagt Hoffmann. Auch der Rüttelbaum für das Futter der Brillenbären ist so ein Beispiel. Beides waren Diplomarbeiten.

Martina Pertl nutzte die seltene Chance, Panda-Nachwuchs beobachten zu können, und promovierte über die innere Uhr der Pandas. Der Aphanius wird in Schönbrunn erforscht und geschützt. Hier sind über 30 Arten des Fisches - eine Diplomarbeit beschrieb eine davon. (REPORTAGE: Julia Grillmayr, DER STANDARD, 20.11.2014)