In Maine ist Hummer allgegenwärtig.

Foto: Georges Desrues

Der wird in einfachen Wirtshäusern mit folkloristischem Humor beworben

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Oder auch ganz bukolisch am Strand, privat, gegart.

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36 Euro - mehr kostet so ein Monsterhummer vor Ort nicht

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Ein typischer Maine-Lobster-Clam-Bake: Hummer, Mies- und Venusmuscheln, Zwiebeln, Erdäpfel und Maiskolben werden gemeinsam in einer Glutgrube gedämpft.

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Von den fünf Hummern, die Brian Rapp aus seiner Falle holt, wirft er vier wieder zurück ins Meer. "Drei sind zu klein, der Vierte ein Weibchen", sagt der Hummerfischer aus der Stadt Portland im US-Bundesstaat Maine, "nur dieser hier, der ist ein Keeper." Darunter verstehen die Fischer ein Männchen im fortpflanzungsfähigen Alter, mit einem Kopfpanzer von mehr als acht Zentimeter Länge. In dieser Gegend Maines gilt dies als gesetzliches Mindestmaß, damit ein gefangener Hummer behalten werden darf - daher die Bezeichnung. "Vier von fünf: Das ist so ziemlich das, was durchschnittlich zurück ins Meer geht", sagt der bärtige junge Mann und bindet seiner Beute mit einer Spezialzange zwei Gummiringe um die Scheren, bevor er sie in einen Behälter zu ihresgleichen tut.

Rapps Geschäft läuft gut. Seit einigen Jahren wimmelt es wieder vor Hummern in den Gewässern vor Neuengland, was der Fischer auf die strikten Fangrichtlinien der Behörden zurückführt. "In der Bucht hier gibt es etliche Hummerfallen, in allen liegt ein Köder, den sich die Weibchen und die zu kleinen Männchen holen, bevor wir sie wieder freilassen. De facto mästen wir sie geradezu, insofern ist es auch kein Wunder, dass es so viele davon gibt."

Wirklich bestätigen können Wissenschafter die Theorie des Fischers allerdings nicht - auch wenn sie die Hummerschwemme selbst nicht restlos erklären können. Die Klimaerwärmung, die die Tiere vermehrt in Richtung Küste wandern lässt, ist eine mögliche Ursache. Aber auch die Überfischung der natürlichen Feinde wie etwa des Kabeljaus, der gern Hummerlarven verspeist und inzwischen so gut wie verschwunden ist aus dem amerikanischen und kanadischen Nordostatlantik.

Hummer macht lustig

Offensichtlich steigt mit dem Angebot auch die Nachfrage. Im Unterschied zu Europa, wo Hummer als Symbol für Luxus und Feinschmeckerei gilt und ausschließlich in Spitzenrestaurants und vornehmen Hummerbars erhältlich ist, sehen die Amerikaner in ihm viel mehr eine Art Fun-Food, das auch in einfachsten Gasthäusern bestellt werden kann, häufig auf Papptellern daherkommt und während der Sommermonate in rauen Mengen von Heerscharen von Küstenurlaubern verdrückt wird. "Für die meisten Touristen ist Hummer zu essen ein fixer Bestandteil eines Aufenthalts in Maine, an manchen Sommertagen verkaufen wir mehre tausend Stück davon", sagt Kevin Tracy, ein Gastronom, der sich auf eine archaische Zubereitungsart namens Lobster Bake spezialisiert hat. Dabei werden die Hummer zusammen mit Miesmuscheln, Clams (Venusmuscheln), Maiskolben, süßen Zwiebeln und Kartoffeln in einem mit Holz befeuerten und zugedeckten Ofen im Hinterhof des Restaurants gedämpft.

An diesem sonnigen Spätsommertag lässt Tracy im weitläufigen Speisesaal des Foster's Downeast Clambakes, so der Name seines in ganz Neuengland bekannten Lokals, die Tischreihen gleich für mehrere Busladungen Pensionisten aus weniger hummerreichen Regionen Amerikas decken. Sie alle erhalten Plastiklätzchen und passendes Werkzeug sowie eine kurze Einführung darin, wie man die Schalentiere möglichst schadlos aufbricht, um an ihr Fleisch zu gelangen. Gerade einmal 34 Dollar, also 27 Euro, kostet die Schalentiermahlzeit pro Person - inklusive Clam Chowder (einer dicklich-mehligen Muschelsuppe) als Vor- und Heidelbeerkuchen als Nachspeise. "So ein Lobster Bake ist ein Riesenspaß für jedermann", sagt der Wirt, der nebenbei auch als Caterer tätig ist und seine Lobster auf Bestellung auch auf privaten Partys dämpft. Auch für die Expräsidentenfamilie Bush, die seine Dienste vergangenen Sommer gleich sechsmal auf dem Anwesen im nahen Kennebunkport in Anspruch genommen hat, wie er betont.

Lokaler Fang

"Natürlich versuchen wir in erster Linie Maine-Lobster zu verarbeiten - wir verbrauchen aber derartige Mengen, dass wir während der Saison auch aus Kanada zukaufen müssen", sagt Tracy, "offenbar gibt es dort noch mehr Hummer als bei uns." Dabei sei der lokale Fang beliebter, seine Schale dünner, das Fleisch zarter und süßlicher im Geschmack, fügt er an.

Wo die besseren Schalentiere zu Hause sind, darüber lässt sich freilich wunderbar streiten. Unbestritten ist nur, dass auch in Kanada so viele Hummer wie nie zuvor aus dem Meer geholt werden. "In den vergangenen Jahren stieg die Anzahl der gelandeten Tiere jedes Jahr um beeindruckende 30 Prozent", sagt John Garland. Garland arbeitet als Marinebiologe in Halifax, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Nova Scotia, einer dünnbesiedelten und dichtbewaldeten Halbinsel nordöstlich der Grenze zu den USA und zum Bundesstaat Maine, wo die Hummerfischerei gleichfalls einen bedeutenden Wirtschaftszweig bildet.

Strikte Fangzeiten

Zwar handelt es sich bei den Tieren um ein und dieselbe Art namens Homarus americanus, doch während diese in den USA das ganze Jahr über befischt wird, herrschen in Kanada striktere Gesetze. "Bei uns gibt es geregelte Fangzeiten, die sich nach der Häutung der Tiere richten", bestätigt Garland, "gefischt werden darf nur ab November, wenn die Hummer ihren alten Panzer bereits seit mehreren Wochen abgeworfen und genug Zeit gehabt haben, um in den neuen hineinzuwachsen." Dadurch sei ihr Hummer "voller", wie die Kanadier sagen, und sein Fleisch kompakter, was zumindest hierzulande als Qualitätsmerkmal gewertet wird. "Am meisten fischen die Amis im Sommer, wenn die Nachfrage am höchsten, die Qualität aber am niedrigsten ist.

Die Tiere haben ihren Panzer da gerade erst gewechselt, wodurch sie auch leichter zu fangen sind, da sie sich mehr bewegen", sagt Garland. Eine Gefahr für die Bestände bedeute das aber auch nicht, beteuert der Biologe. Viel eher liege das Problem darin, dass die da wie dort wachsenden Mengen an gelandeten Hummern zu einem Preisverfall und, damit einhergehend, zu einem Prestigeverlust der Meerestiere beim Verbraucher führen könnten.

Sommer in Neuengland: Bei einem traditionellen Lobster Bake werden die Hummer über Holzfeuer gedämpft und erhalten so ihre charakteristische signalrote Farbe.
Foto: Georges Desrues

Diese Befürchtung teilt auch Joe Santi, der in Boston eine Fischhandlung in vierter Generation betreibt. Obwohl er andere Qualitätsmaßstäbe anwendet. "Unsere Softshell-Hummer haben zwar weniger kompaktes Fleisch, dafür lassen sie sich leichter schälen und schmecken auch süßer", sagt der Nachfahre sizilianischer Einwanderer, "aber es stimmt, dass die Preise noch nie so niedrig waren". Dann öffnet er die Türe zu seinem Lagerraum, wo hunderte Hummer nach Größe sortiert in Wasserbecken gehalten werden. "Dass hier sind sogenannte Jumbos", sagt er und zieht einen Hummer aus dem Becken, der sechseinhalb Pfund, also knapp drei Kilogramm, auf die Waage bringt. "Während wir für einen Portionshummer mit eineinhalb Pfund (0,7 kg) zehn Dollar je Pfund verlangen können, was auch schon sehr niedrig ist, erhalten wir für so einen Jumbo nicht mehr als sieben Dollar das Pfund, weil den Leuten die Portionsgrößen lieber sind." Macht also 45 Dollar, umgerechnet gerademal 36 Euro für einen ganzen, lebenden Riesenhummer, der locker zehn Jahre auf dem Buckel hat und Scheren so groß wie Kinderfäuste.

Hummer im Labberbrot

Santi betreibt auch ein Restaurant am Markt von Boston, in dem er Hummer und anderes Meeresgetier zubereitet und serviert. Die Stimmung ist ungezwungen, auf den Tischen stehen Ketchup und Senf, die Gäste bestellen Klassiker wie gekochten Hummer, aber auch Fish and Chips, Clam Chowder und die beliebten Lobster-Rolls. Dabei handelt es sich um ausgelöstes Hummerfleisch, das mit Mayonnaise vermischt in ein labbriges Hot-Dog-Weckerl gefüllt wird. In Neuengland sind Lobster-Rolls inzwischen allgegenwärtig - deren kulinarische Vorzüge entziehen sich dem mit Hummer weniger vertrauten und an besseres Brot gewöhnten Europäer aber weitgehend. In den fünf sogenannten atlantischen Provinzen im Osten Kanadas werden solche Lobster-Rolls sogar bei McDonald's angeboten. Woraus sich schließen lässt, dass der von vielen befürchtete Prestigeverfall des Hummers zumindest jenseits des Atlantiks längst begonnen hat. (Georges Desrues, Rondo Feinkost, DER STANDARD, 2014)