Torvald (Alexander Braunshör, 2. v. li.) im Kreise der austauschbaren Ibsen-Clons: ein leider fruchtloses Recycling-Programm im TAG.

Foto: Stehlig

Wien - Es fällt nicht schwer, die Figuren in Ibsens Nora oder Ein Puppenheim für borniert zu halten. Alles dreht sich um die Aufrechterhaltung des Scheins. Am Schluss der Auseinandersetzung zwischen Nora und Torvald Helmer gelangt es zur Abwicklung einer Ehe. Die Puppe hat die Flausen des Gemahls satt. Sie lässt den Herrn der Schöpfung, der ihr wegen einer Lappalie bittere Vorhaltungen macht, mitsamt den Kindern sitzen. Ein Skandal war einst die Folge. Der Dramatiker Henrik Ibsen galt aufgrund seiner Wahrheitsliebe mit einem Schlag als gemachter Mann.

Knapp 150 Jahre später hat das Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) die beiden skandalösen Eheleute erneut zur Wahrheitssuche einbestellt. Torvald, in Koproduktion mit der Gruppe Das Gut erarbeitet, ist die Umdrehung des Spießes mit choreografischen Mitteln. An der Rampe stehen fünf Sitzgelegenheiten, auf denen diverse Businessklamotten der Inbesitznahme durch leitende Angestellte harren.

Es hat sich allerhand getan seit Ibsens ehehygienischer Verlustanzeige. Männer und Damen tragen barbieblonde Perücken. Während Torvalds Kollegen ihm freundlich Hemd und Hosen überstreifen, singt der Schauspieler Alexander Braunshör mit wundervoller Stimme ein Lied über Wirklichkeitsverlust: "Ha ha ha, bless your soul, you really think you' re in control?"

Der Song tönt synthetisch-dunkel. Herr Torvald aber ist kein Orpheus der schönen neuen Arbeitswelt. Er und die anderen Personen aus Ibsens Scharteke unterziehen sich während der folgenden 80 Minuten einem kompletten Workout. Man weiß nicht recht, was die Herrschaften so emsig ins Werk setzen. Ob sie Dienstleistungen anbieten, Consulting betreiben oder, so wie Nora (Birgit Linauer), in unsichtbare Schreibmaschinentasten hacken.

Regisseurin Rachelle Nkou zeichnet für die Transferleistung verantwortlich. Sie entfernt Ibsens Figuren von deren angestammten Plätzen und topft sie um. Der Gewinn dieser Modernisierungsaktion ist erschreckend gering. Krogstad (Julian Loidl) ist nun nicht mehr der liederliche Erpresser, der um seinen Job fürchtet. Als Weihnachtsmann platzt er ins postmoderne Puppenheim. Helmers kriegen ihr Liebesglück gar nicht zu fassen. Sie bejahen ihr Dasein von ganzem Herzen. Sie trinken ihren Espresso "wie frischgebrüht". Die Ehepflichten werden mit der masochistischen Inbrunst eines Zirkeltrainings absolviert. Man spürt, dass hier etwas entsetzlich schiefläuft. Man weiß nur nicht recht, was man davon halten soll.

Ballett für Roboter

Die furchterregendste Umwidmung erfährt Noras Freundin Christine Linde (Johanna Orsini-Rosenberg). Als Computermodul aus Fleisch und Blut tritt sie ans Mikrofon. Linde erteilt ehehygienische Ratschläge und kaut dabei ein paar Kaumgummis furchterregend klein. Man fühlt mit Torvald mit, wenn dieser bekennt, so nicht weitermachen zu wollen. Rachelle Nkous Roboterballett bleibt, ungeachtet einiger handwerklicher Schönheiten, meilenweit hinter Ibsens Demaskierungsleistung zurück. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 26.11.2014)