Intrigen, Verwechslungen und Liebeswirren: Arsamenes (Dshamilja Kaiser) und sein Bruder Xerxes (Stephanie Houtzeel).

Foto: Monika Forster

Graz - Xerxes, eine der vier letzten Opern Händels, steht am Wendepunkt einer Entwicklung. Bei seiner Londoner Uraufführung im April 1738 ein Misserfolg, gehört das tragikomische Werk, in dem sich der Komponist von der italienischen Opera seria verabschiedet, heute zu den meistgespielten Händel-Opern.

Auch in Graz konnte Intendantin Elisabeth Sobotka, die sich erst in ihrer letzten Spielzeit an eine Barockoper wagt, mit Xerxes in der Inszenierung von Stefan Herheim unter der musikalischen Leitung von Konrad Junghänel, einer Koproduktion der Komischen Oper Berlin mit der Deutschen Oper am Rhein, einen durchschlagenden Erfolg landen.

Die für die Titelrolle nach Graz zurückgekehrte Stephanie Houtzeel wurde stürmisch gefeiert und konnte sich mit ihrer eindrucksvollen Interpretation in ein durch Hagen Matzeit (Elviro) ergänztes, bestens disponiertes Ensemble aus dem Haus einfügen.

Zwei Ebenen

Stefan Herheim stellt eine Bühne auf die Bühne. Den für das zeitgenössische Publikum unerheblichen (und für uns kaum erträglichen) Inhalt der Oper - die flüchtige Adaptierung eines heroischen Stoffes an amouröse Intrigen und arkadische Szenen - teilt er auf zwei Ebenen auf, auf Bühnenhandlung und Geschehen hinter der Bühne, die Welt der Künstler und Künstlerinnen.

Im Londoner King's Theatre beherrschen große Affekte nicht nur die Handlung der aufgeführten heroischen Oper, sondern auch Bühnengassen und Garderoben. Der Bruder (intensiv Dshamilja Kaiser) des gefeierten Star-Kastraten verehrt die Primadonna (präzise Margareta Klobucar), wird aber von deren Schwester (koloratursicher Tatjana Miyus) begehrt.

Diese doppelte Spiegelung der Figuren - zwei Brüder, zwei Schwestern, dazu der alte Vater der Schwestern (solide David McShane), allesamt Darsteller am selben Haus - macht die Welt des Theaters zum Thema, insbesondere die untergehende Welt der italienischen Opera seria und ihres Starkults um die Kastraten. Sie faszinierten das Publikum durch den besonderen Klang ihrer Stimmen, und die erfolgreichsten unter ihnen konnten sich Starallüren leisten und immense Gagen verlangen.

Herheims schillernde Inszenierung, in der er die Musik auf erstaunliche Weise seinen Zwecken unterordnet, spielt mit der Ambiguität ihrer Erscheinung, dem Maskenspiel geschlechtlicher Identität und der Macht der Bühnenkünstler, die in der Verkleidung liegt. Heike Scheele (Bühne) und Gesine Völlms (Kostüme) schaffen optische Eindrücke von suggestiver Kraft und Farbigkeit, voller Witz und Ironie. Die Drehbühne macht den Wechsel zwischen Garderobe, Hinterbühne, barocker Bühnenmaschinerie und Kulissenbühne und dem Londoner Haymarket möglich.

Grenzüberschreitung

In einem Vexierspiel der Geschlechter und Identitäten spielen sich hier die Konkurrenzkämpfe und amourösen Abenteuer der Darsteller ab, dort ihr Buhlen um die Gunst des Publikums in einem heroischen Setting, das Georg Friedrich Händel selbst schon karikierte und mit komischen Elementen durchsetzte.

Das Publikum der Uraufführung nahm ihm diese Grenzüberschreitung übel, doch die Mischung der Genres, die Verkürzung der Rezitative und Arien weisen schon auf die kommende Entwicklung hin. Und Grenzüberschreitung ist es, was die Regie augenfällig macht, die Willkür und Lächerlichkeit des persischen Großkönigs, der neben militärischen Eroberungen ständig auch auf sexuelle Erfolge aus ist und letztlich wie Mozarts Almaviva durch ein Dauerverwirrspiel von Briefen und Verkleidungen ausgetrickst wird.

Im angehobenen Orchestergraben setzt das Grazer Philharmonische Orchester die ungewohnte Literatur unter der energischen Leitung von Konrad Junghänel mit Schwung um und lässt sich sogar in das Geschehen einbinden. (Beate Frakele, DER STANDARD, 2.12.2014)