Opernparodie und pure Lust am Slapstick: Donna Elvira (Nicole Chevalier) und Leporello (Jens Larsen) in "Don Giovanni" an der Komischen Oper Berlin.

Foto: Monika Rittershaus

Jetzt ist Herbert Fritsch (63) auch in Berlin auf der Opernbühne angekommen. Anlauf genommen hat er in der Volksbühne, wo er einst einer von Castorfs Schauspielstars war. Als Regisseur hat er dort mit seiner Spanischen Fliege und Murmel Murmel für ein volles Haus gesorgt und sich selbst zur gefragten Regieabwechslung gemacht. Ob seine Methode fürs Musiktheater taugt, wurde mit Offenbachs Banditen in Bremen und mit Eötvös' Drei Schwestern in Zürich erprobt. Jetzt ist er, immer noch Opernregieneuling, auf die Bühne der Komischen Oper gegrätscht - und krachend gelandet, ohne sich dabei im übertragenen Sinne die Knochen zu brechen.

Wenn sich der Vorhang hebt, dann ist die Bühne bis an die Brandmauern vollkommen leer. Durchaus ein recht selbstbewusstes "Alles auf Anfang" -Statement. Auch die Ouvertüre fehlt. Vorerst. Die wird im ersten Akt nachgeliefert. Zunächst aber stürmt das gesamte Personal mit lautem Kreischen den leeren Raum und veranstaltet einen Minipolterabend. Dann beginnt die Show. Mit Jens Larsen als Leporello in schwarzer Ganzkörperpluderhose - der Erzkomödiant von massiger Gestalt mit (inzwischen erschreckend) fahler Stimme und dem dagegen drahtig wirkenden, in jeder Hinsicht konditionsstarken Günter Papendell als Don Giovanni.

In bestickten Kniebundhosen, mit langer strähniger Blondhaarfrisur und aufgeschminktem Batman-Joker-Grinsen. Überhaupt sind die Kostüme und Masken von Victoria Behr eine Pracht. Grell, fantasievoll, schräg. Erika Roos ist eine Donna Anna in üppigem Blau mit Riesenschleife auf dem Rücken. Nicole Chevalier eine schlanke und stimmlich furiose Donna Elvira in Quietschgelb. Die eine gibt neben ihrer Rolle noch die affektierte Diva, die andere bei jeder Gelegenheit die Tragödin. Adrian Strooper ist ein Don Ottavio ganz in Orange, der wohl mehr Muffensausen davor hat, Donna Anna zu bekommen, als sie zu verlieren. Philipp Meierhöfer als Masetto und Alama Sadé als handfeste Zerlina kommen in festlich verkitschtem Hochzeitsweiß.

Die Bühne hat sich Fritsch selbst mit lauter Vorhängen aus so einer Art spanischer Trauerspitze vollgehängt. Die werden immerzu hin und her und auf und nieder bewegt. Dadurch angedeutete Räume werden zu Laufgassen für die flotten Auf- und Abgänge, die manchmal mit einem Kreischalarm als Invasion hereinbrechen, was der spielerfahrene Chor der Komischen Oper natürlich kann. Doch auch das Protagonistenensemble hat die spezielle Fritsch-Motorik mit fabelhafter Präzision drauf.

Opernparodie und pure Lust am Slapstick treffen sich da mit seiner Lust, vom rechten Opernwege abzukommen. Wenn Fritsch sein Ensemble nicht stottern oder Namen verballhornen lässt, dann verpasst er ihnen Sprechblasen mit Ausrufen, wie "Huch!" und "Bäh!" - um die anderen zu erschrecken oder das Publikum zu amüsieren. So geht Fritsch. Nichts von Diskurs mit gesellschaftspolitischem Hintergrund oder psychologischer Tiefenlotung bis auf den Seelengrund der Figuren. Hier geht es um die Komödienmechanik. Die pure Bewegung, die bei ihm verblüffend genau aus der Musik kommt.

Was Fritsch mit Don Giovanni veranstaltet, ist die Kreation eines Comicals oder eines "dramma fritschoso". In die Show- und Operettendramaturgie, mit der Intendant Barrie Kosky die Komische Oper auf Vordermann und in Berlin auf den vorderen Platz katapultiert hat, passt das gut.

Schlussquintett gestrichen

Wer nicht nur Mozart-, sondern nebenbei auch noch Fritsch-Fan ist, ist dabei klar im Vorteil. Im Graben hat es Henrik Nanasi nicht leicht, dem Bühnentumult musikalisch die Stange zu halten. Über weite Strecken gelingt ihm das aber. Schade, dass Fritsch das Schlussquintett nach der Höllenfahrt nicht als Zugabe inszeniert, sondern gestrichen hat. Zum Schlussapplaus kommt er selbst aus der Versenkung, in der der übermütige Don Giovanni kurz vorher verschwunden war - wie dieser mit nach oben gestrecktem Zeigefinger.

Der musikalische Ertrag insgesamt? Sagen wir mal so: Für eine CD wäre dieser Abend nicht unbedingt die erste Wahl - für eine DVD aber schon. Am Ende: Gejohle in der Komischen Oper. (Joachim Lange, DER STANDARD, 4.12.2014)