Wien – Erich Kästners Emil und die Detektive erzählt die Geschichte eines unerhörten Aufbruchs in die Freiheit. Emil Tischbein (Michael Zwiauer) reist mutterseelenallein von Neustadt nach Berlin. Es gärt in Deutschland. In der Provinz lassen sich Bäckermeisterinnen nach der Mode der "Roaring Twenties" ondulieren. Emil trägt eine Unmenge Geldes mit sich herum. Ein Herr mit steifem Hut (Rainer Doppler) klaut ihm den vom Mund der Mutter (Alleinerzieherin) abgesparten Zaster.

Man schreibt das Jahr 1929, das Theater der Jugend zuckt und swingt. Im Wiener Renaissancetheater hat man den Autor selbst auf die Bühne gebeten: Dr. Kästner (Michael Schusser) macht als rastloser Vertreter des "Jazz-Age" beste Figur. Er tritt mit Schal und Gehstöckchen auf, ein kleiner Gatsby, der die Bestandteile des Kinderbuchklassikers zusammenfantasiert. Kinder ab sechs Jahren dürfen Anteil nehmen an der spontanen Entstehung einer Kriminalgeschichte.

Kästner-Bearbeiter Gerald Maria Bauer, der auch Regie führt, ist ein Kunststück gelungen: Emil, der hoch aufgeschossene Detektiv in eigener Sache, wird auf den Pflasterstrand der Weimarer Republik gespült. Männer mit Paketbergen hasten durch die Straßenschluchten, doch Emil lässt sich keineswegs einschüchtern. Er will unter allen Umständen sein Geld zurückhaben.

Berlin, die nervöse Metropole, wirkt in dieser Annäherung an die Moderne wie aus Druckerschwärze gebaut (Bühne: Sam Madwar). Die Provinzlerinnen in der Holzklasse der Eisenbahn ("Dame mit Gans") sind Transsexuelle. Der Moloch Großstadt geistert durch die unruhigen Träume der Kinder, man erkennt Fritz Lang wieder, man hört – ein hübscher Vorgriff in die Zukunft – Musik des Gerry-Mulligan-Quartetts. Eigentlich müssten jetzt Walter Benjamin und Bertolt Brecht um die Ecke biegen. Im Theater der Jugend hat der Fortschritt gewonnen.

So fiebert man mit den Gassenkindern mit, die Emil im Kampf um sein Recht tatkräftig unterstützen: Gustav mit der Hupe (Matthias Hacker), die altkluge Pony Hütchen mit dem Roller (Tanja Raunig).

Pony ist bereits eine Vorläuferin von Polly aus der Dreigroschenoper. Kleinere Tempomängel im zweiten Teil fallen nicht ins Gewicht. Bauers Kästner bereitet schamlos Vergnügen und moussiert wie Brause. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 4.12.2014)