Ewald Palmetshofer sucht nach tragbaren Formen für neue Tragödien: "Texte können das Theater auf eine Suche schicken. Nur so lassen sie sich auch beglaubigen."

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Wien - Ewald Palmetshofers Stück die unverheiratete verhandelt auf verrätselte Weise einen authentischen Fall. Im April 1945 wird ein Wehrmachtssoldat aufgrund der Denunziation einer Frau verurteilt und ermordet. Palmetshofers Interesse an dem Mühlviertler Stoff hat eine Sprechpartitur für sieben Frauen gezeitigt: "Die Alte" bleibt als Täterin von einst der Tochter wie der Enkelin eine Begründung für ihr Handeln schuldig. Die Uraufführung ist am Sonntag im Akademietheater, in der Inszenierung von Robert Borgmann spielen u. a. Elisabeth Orth und Christiane von Poelnitz.

STANDARD: Ihr Stück "die unverheiratete" ist zur Gänze in Jamben geschrieben. Das erzeugt eine eigenartige Wirkung beim Lesen. Verraten Sie den Grund?

Ewald Palmetshofer: Es gibt zwei. Zum ersten habe ich sehr viel Recherchearbeit aufgewendet. Ich war auf der Suche nach einem Ton, einer sprachlichen Form für die Gerichtssituation. Das Aktenmaterial zu dem Entnazifizierungsprozess ist sehr eigenartig.

STANDARD: Inwiefern?

Palmetshofer: Ich wusste nicht, dass die österreichische Protokollpraxis in diesen Jahren anders war als bei den Entnazifizierungsprozessen, die man aus Deutschland kennt. Dort herrschte die amerikanische Ordnung. Das bedeutet, dass in direkter Rede protokolliert wurde. In Österreich wurde indirekt protokolliert, gleichsam paraphrasierend.

STANDARD: Sie meinen Sätze von bürokratischer Verstiegenheit?

Palmetshofer: Diese eigenartige Sprachlichkeit des Materials zwingt die unterschiedlichen Sprecher in ein einheitliches Sprachkorsett. Man hat keine O-Töne. Der Ton geht immer ums Eck.

STANDARD: Werden die Figuren dadurch ein Stück weit "gesprochen"?

Palmetshofer: Ich habe Sehnsucht nach einem "originalen" Ton gehabt. Ich musste aber zur Kenntnis nehmen, dass der verloren und verschüttet ist. Ich habe Sprecher, die im vorliegenden Material von anderen gesprochen werden. Die einzige Quelle, die einen Hauch von Originalität besitzt, das sind die Zeitungen der Zeit, die eine Ahnung von der Temperatur vor Gericht vermitteln.

STANDARD: Wodurch bewiesen scheint, dass Zeitungen für etwas gut sind.

Palmetshofer: Da gibt es wenigstens eine Differenz. Die Temperatur im Gerichtssaal ist aus dem Aktenmaterial einfach nicht herauslesbar. Nicht nur die Sprache, sondern auch die Emotionen scheinen wie durch einen Filter gepresst.

STANDARD: Man kann auf die Figuren nicht unmittelbar zugreifen?

Palmetshofer: Es gibt diesen Zugriff nicht. Das war eine Enttäuschung im Archiv. Das hätte ich mir eigentlich anders gewünscht. Damit war aber auch umzugehen. Alle Ersteinvernahmeprotokolle sind ähnlich. Individualität ist ausgelöscht, es hat alles schön auf einer DIN-A4-Seite Platz. Der zweite Grund für die künstliche Sprachform: Es gibt eine antike Folie.

STANDARD: Es spricht ein Chor von vier "hundsmäuligen Schwestern", dazu entsteht das Bild einer Welt ohne Männer. Großmutter, Mutter und Tochter kommen ohne Väter oder Männer aus. Haben wir ein Frauenstück vor uns?

Palmetshofer: Kommt darauf an, wie man den Begriff nimmt. Es ist jedenfalls ein Stück für Schauspielerinnen. Diese Setzung war früh klar. Das hatte einerseits mit dem Zugang zum Stoff zu tun ...

STANDARD: Seit den Tagen der Antike durften die Männer handeln, den Frauen blieb es überlassen wehzuklagen. Wollten Sie dieses Verhältnis auf den Kopf stellen?

Palmetshofer: Das Verbrechen hat einen geschlechtlichen Index, der die gewohnten Verhältnisse umkehrt. Wenn man gewohnt ist, von "Tätern" zu sprechen, so geht es hier um eine Täterin. Das macht einen Unterschied. Was schreibt sich dadurch in die Familienfolge ein? Um welche Männlichkeitsbilder geht es, welche Extrempole von Männlichkeit werden hier gedacht? Welche Graustufen schließt das automatisch aus? Die Extrempole von Weiblichkeit, die man traditionell mit "Heiliger" und "Hure" umschreibt, weichen einer Polarität, die alles zwischen "Schwein" und "Führer" ausschließt.

STANDARD: Wodurch kommt es zu diesem Männermangel?

Palmetshofer: Das hat mit der Abwesenheit der Männer im Krieg zu tun, auch mit der Haftanstalt für Frauen, die einen rein weiblichen Kosmos bildet.

STANDARD: Sie gehören einer Generation jüngerer Dramatiker an, die sich auch auf den größeren Bühnen formidabel behaupten. Zu nennen wären neben Ihnen Thomas Arzt oder Ferdinand Schmalz. Freut Sie das?

Palmetshofer: Da ist tatsächlich etwas entstanden, und ich hoffe, dass das weiter bestehen wird. Es gibt eine massive Diskussion in Deutschland über die Rolle des Autors auf dem Theater, über die Sinnhaftigkeit von Förderstrukturen, ausgehend vom Berliner Stückemarkt. Mir erscheint, das erzeugt "Entweder-oder"-Haltungen. Man spielt Autorentheater und performative, kollektive Zugänge gegeneinander aus, eine Ausschließlichkeit, die mich sehr überrascht. Mich erstaunt, dass die Früchte, die die Öffnung der Theaterhäuser für Autorinnen und Autoren mit sich bringt, oft nicht gesehen werden. Was in meiner Generation hier entstehen konnte, entspringt ganz konkret einer Fördertätigkeit, die zumal in Österreich viel dünner ist als in Deutschland.

STANDARD: Heiner Müller hat sinngemäß gesagt, Autoren müssen dem Theater mit ihren Texten Widerstand entgegensetzen. Es sei ihre Pflicht, die Institution zu überfordern.

Palmetshofer: Das ist meiner Meinung nach gar kein Einwand oder Widerspruch. In Wahrheit ist das die Begründung dafür, warum es Schreiben am Theater gibt. Dieser Wunsch nach einer Form, die man dem Theater als Grundlage anbietet, ermöglicht es, Spielweisen zu erproben, die es so noch nicht gibt. Der Widerstand, den die Materialität eines Textes leistet, bietet sich eben auch als Material für SpielerInnen an. Dort, wo etwas präzise gebaut ist, zwingt es, gegen den Schlendrian eine klare Haltung einzunehmen. Die dazugehörige Form ist eben zu erfinden. Auf diese Weise können Texte Theater auch auf die Suche schicken - weil sie sich in letzter Konsequenz nur so beglaubigen lassen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 10.12.2014)