Nils Harald Sødal (li.) legt den "Peer Gynt" als modernen jungen Mann an. Mit dieser neuen "Nationaloper" will Norwegen die Zeit seiner opernhaften Unbeflecktheit hinter sich gelassen haben.

Foto: Erik Berg

Auf den mit weißem Marmor verkleideten Dächern der 2008 eröffneten Oper gehen die Osloer gerne spazieren. Das einer treibenden Eisscholle nachempfundene Gebäude im Hafen wurde schnell zu einer der Sehenswürdigkeiten der norwegischen Hauptstadt.

Als Opernnation etabliert sich das Land aber sehr verspätet. Erst vor 55 Jahren gab es das erste professionelle Musiktheater, und norwegische Opernkomponisten gibt es so gut wie gar nicht.

Edward Grieg hat bis auf ein Fragment keine Opern, nur Schauspielmusik komponiert. So schien es geboten, anlässlich der 200-Jahr-Feiern der norwegischen Verfassung eine Nationaloper in Auftrag zu geben. Mit folkloristischen und exotischen Szenen, Liebesgeschichten, Hochzeiten, Begräbnissen und Märchenfiguren bietet Henrik Ibsens Drama Peer Gynt reichlich Stoff für das Musiktheater. Müsste man meinen: Doch nur Werner Egk hat sich während des Nationalsozialismus an eine Peer-Gynt-Oper gewagt. Ob der Held zur Identifikation einlädt, ist fraglich, selbst wenn das norwegische Parlament jährlich einen Peer-Gynt-Preis für vorbildliche Norweger verleiht. Man hat es bei Peer vor allem mit einem Lügner, Verdränger und Hochstapler zu tun.

Der von der Oper beauftragte estnische Komponist Jüri Reinvere sah sich zunächst bemüßigt, ein Libretto zusammenzubasteln. Er machte es in deutscher Sprache. Für die Uraufführung musste seine Fassung ins Norwegische zurückübersetzt werden. Dabei hält er sich zwar über weite Strecken an Ibsens Vorlage, versucht jedoch, seinem träumerischen Helden vor allem eine europäische Identität voller Selbstzweifel zu geben und füttert ihn mit Kierkegaard'schem philosophischem Gedankengut.

Kräftige Buhrufe

Doch ein Massenmörder steckt im Träumer Peer. In Rom greift er zur Waffe und schießt wild in die Menge. Wie Anders Breivik beim Massaker in Utøya? Im Premierenpublikum gab es für solche Assoziationen kräftige Buhrufe.

Als Musiktheater werden die unterschiedlich gefärbten Szenen von Ibsens ursprünglich als Lesedrama konzipiertem Stück vereinheitlicht. Die Oper wird zum Erlösungsdrama in sieben Tableaus. In der Heimkehr in die norwegische Heimat, zur wartenden Solveig - bei Reinvere gespalten in eine alte und junge Frau - findet Peer schließlich Erfüllung.

Schon die Ouvertüre scheint in Richard-Wagner-Welten einzustimmen. Das große Orchester unter John Helmer Fiore hinterlässt dabei den stärksten Eindruck. In die spätromantischen Klänge sind elektronisch erzeugte Naturgeräusche vermischt, die Gesangslinien der Figuren erinnern öfter an Richard Strauß, einer weitergehenden Entwicklung Richtung Moderne scheint sich Reinvere in der Regel eher zu verschließen.

Mehr als die oft statische Inszenierung (Sigrid Strøm Reibo) ist allerdings das Bühnenbild zu bewundern. Wellenförmige Gebilde, die sich als Wald, Wüste, Gebirge und Strand senken und heben, sorgen für den wohl nachhaltigsten Eindruck der Uraufführung.

Peer Gynt (Nils Harald Sødal) bewegt sich unter den Gesellschaftskarikaturen und Sagenfiguren als moderner Norweger. Weder vom Engel noch von der Grinsekatze lässt er sich ins Gewissen reden. Der Countertenor David Hansen verkörpert diese beiden musikalisch überzeugenden Partien. Mit einem kurzen Auftritt von schwarz vermummten Soldaten in der Ägyptenszene wird die islamische Terrororganisation IS angedeutet.

Solche Anspielungen bleiben allerdings vage. Bei Peer Gynt scheint es ähnlich wie beim Nationaldrama der Deutschen, bei Goethes Faust I und II: Gegenüber dem Schauspiel bleibt Musiktheater unverbindlich und unterlegen. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 8.1.2015)