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Alaide (Edita Gruberová) - wie sich die geflohene Herzogstochter Agnese in der Fremde nennt - beweint in Bellinis tragischer Oper "La Straniera" den Verzweiflungstod von Arturo (Dario Schmunck).

Foto: APA, Monika Rittershaus

Wien - Ihre Ehr' ist hin, ihr Herz ist schwer: Sie ist eine beschädigte Kreatur, die arme Straniera - die Fremde, die in einer Klause im Wald wohnt und im Dorf als Zauberin verschrien ist. Was niemand weiß: Kurzzeitig war die Einsiedlerin die Frau des französischen Königs Philippe-Auguste - allerdings dessen zweite. Da die erste (Isemberga) nicht sterben, der Papst die Ehe auch nicht aufheben wollte, wurde Agnese/Alaide, die Tochter des Herzogs von Pommern, in die Pampa verbannt.

Langzeitregentin der Opernbühne ist hingegen Edita Gruberová: Die Königinmutter des Belcanto singt selbstbewusst ihrem 50-jährigen Bühnenjubiläum entgegen. Im Spätherbst ihrer einzigartigen Karriere sind die Bühnenauftritte handverlesen. Mit Vincenzo Bellinis Rarität La straniera war die Gruberová 2013 in Wien konzertant zu erleben; im selben Jahr gab sie die Alaide an der Oper Zürich, neu inszeniert von Christof Loy. Diese Produktion ist nun am Theater an der Wien zu sehen.

Loy hat hier am Haus vor vier Monaten bei Tschaikowskys Charodeyka Regie geführt; man durfte einen Einheitsbühnenraum erleben, in welchem fallweise Prospekte die Handlungsorte andeuteten. La straniera präsentiert Loy - Überraschung! - in einem Einheitsbühnenraum, in welchem fallweise Prospekte die Schauplätze andeuten. Ist das überbordende Chuzpe oder beschränkte Ideenvielfalt? Womöglich beides.

Gescheuchter Chor

Immerhin hat der holzgetäfelte Saal, den Annette Kurz gebaut hat, deutlich mehr Atmosphäre als der kahle Charodeyka-Großraum von Bühnenbildner Christian Schmidt. Auch die Kostüme von Ursula Renzenbrink sind in dieser Produktion ein Stimmungsbringer: Sie entführen dankenswerterweise nicht in mittelalterliche Zeit, sondern in jene Bellinis.

Die Choristen scheucht Loy im gediegenen Ambiente ziemlich herum - was mitunter der sängerischen Leistung des Arnold Schönberg Chors (Leitung: Erwin Ortner) abträglich ist. Im Orchestergraben musizieren die Holzbläser des Radio-Symphonieorchesters apart; bei den Tutti findet Dirigent Paolo Arrivabeni nur selten zu Spannkraft und Elastizität.

Die kleinen Partien sind exzellent besetzt: Stefan Cernys mächtiger Bass verleiht den Auftritten des Priors Nachdruck und Eindringlichkeit; Vladimir Dmitruk bleibt als Osburgo nicht nur durch sein käsebleiches Antlitz, sondern auch durch seinen kräftig-hellen Tenor in Erinnerung.

Fast ein Echo des Straniera-Schicksals erlebt die arme Isoletta: Nachdem sich Arturo, ihr Gatte in spe, in die seltsame Fremde verschaut hat, wird sie von ihm vor dem Traualtar stehengelassen: Zu Beginn noch etwas inhomogen timbriert, fesselt Theresa Kronthaler in der Partie mit erfrischender Agilität und Dringlichkeit.

Auch Franko Vasallo beeindruckt als Isolettas Bruder, Barone Valdeburgo: Mit seinem nobel-weichen Bariton fühlt sich der Italiener in der Vorwärtsbewegung am wohlsten; den lyrischen Höhepunkt seiner Partie, die Arie Meco tu vieni, o misera, präsentiert er jedoch etwas unfrei und konsonantenscheu. Ein idealer Kompagnon in der sängerischen Attacke ist ihm Dario Schmunck als Arturo; sein nicht allzu großer Tenor passt gut ins intime Theater an der Wien. (Schmunck wird die Partie alternierend mit Norman Reinhardt singen, so wie sich Edita Gruberová auch mit Marlis Petersen abwechseln wird.)

Die Gruberová präsentierte sich selbst für manch' Bewunderer als nicht unverwüstliches Denkmal ihrer selbst. Die Durchschlagskraft bei den Spitzentönen und die chirurgisch präzisen, fallenden Skalen sind formidabel; doch ihr mühevolles Messa di Voce macht mehr leiden, als dass es bezaubert. Die fahlen Pianissimi sind oft nur tot und leise, ihr Timbre in der Mittellage ist unberechenbar, Phrasenenden werden oft kurzatmig verschluckt. Enden wollender Applaus mit zahlreichen Bravi und vereinzelten Buhs für den Dirigenten und die ewige Primadonna zum Ausklang eines in Summe lohnenden Opernabends. (Stefan Ender, DER STANDARD, 16.1.2015)