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Was genau meinen die Leute, wenn sie sagen, dass sie sich "wegen des Kindeswohls" gegen das Recht auf eine Adoption durch Homosexuelle aussprechen?

Foto: AP/Ben Garvin

Ah, Österreich! Heimat großer Menschen. Das ist aber mal eine gute Nachricht zum neuen Jahr 2015: Der Verfassungsgerichtshof hat das Adoptionsverbot für Homosexuelle gekippt und die Politik zugleich mit der Aufgabe versehen, die entsprechenden Gesetzesänderungen bis Ende dieses Jahres auf den Weg zu bringen.

Als Deutscher bin ich schon ein bisschen neidisch. Da meine Kanzlerin in dieser Sache immer noch sowohl das Grundgesetz als auch die mehrheitlichen Auffassung derjenigen ignoriert, die sie und ihre Partei wählen, müssen auch hierzulande die Gerichte die längst überfälligen politischen Entscheidungen treffen. Das ist zum einen in der Gewaltenteilung so eigentlich nicht vorgesehen und zum anderen eine ziemliche Peinlichkeit. Mal ganz abgesehen davon, dass selbst ein erzkatholisches Land wie Spanien das hinbekommen hat, verweist die juristische Spruchpraxis in Deutschland seit inzwischen mehr als einem Jahrzehnt darauf, dass die Ungleichbehandlung Homosexueller eine Diskriminierung darstellt, die zügig abgestellt gehört.

Zudem ist seit 2002 bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Gleichberechtigung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe nicht gegen den grundgesetzlich festgelegten besonderen Schutz von Ehe und Familie verstößt und dass dieses ominöse "Abstandsgebot", von dem auf CDU-Parteitagen immer noch gern gefaselt wird, nicht existiert. Besteht also vielleicht gar kein Grund, neidisch zu sein? Ganz so einfach ist es nicht. Denn das uneingeschränkte Adoptionsrecht für Lesben und Schwulen vertritt sich bis auf weiteres aus formalen Gründen noch zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg die Beine.

Definition von Kindeswohl

Und dann ist da noch etwas anderes. Sie wissen vielleicht, was ich meine: dieses Bauchgefühl, das einem sagt, dass das irgendwie unnatürlich und nicht richtig ist. Oder, wie man es heute auch gerne nennt: wegen des Kindeswohls dagegen sein.

Das ist ja nicht nur meine Kanzlerin, sondern beispielsweise auch die ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhelm. Was für eine Definition von Kindeswohl liegt dieser Haltung eigentlich zugrunde? Menschen, die aus freien Stücken einen langwierigen Prozess in Kauf nehmen, um zu belegen, dass sie geeignet sind, für ein Kind Verantwortung zu übernehmen, verwehrt man das Recht auf Adoption. Und zugleich lässt man in einem der reichsten Länder der Erde mehr als 1,6 Millionen Kinder in Armut aufwachsen und kümmert sich nicht darum, dass in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen ausreichend für die Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern getan wird.

Was genau meinen die Leute, wenn sie sagen, dass sie sich "wegen des Kindeswohls" gegen das Recht auf eine Fremdkindadoption durch Homosexuelle aussprechen? Antworten auf diese Frage sind nicht leicht zu finden. Denn je mehr PolitikerInnen die gesellschaftliche Mitte als potenzielle Wählerschaft ausmachen und je mehr Verantwortung sie tragen, desto wortkarger geben sie sich. Schließlich könnte man ihnen ja dabei auf die Schliche kommen, dass sie statt mit Argumenten nur mit Engstirnigkeit und dem Gewohnheitsrecht bewaffnet sind. An der politischen Peripherie wird man schon eher fündig, wenn man etwas über die "Inhalte" erfahren will, die angeblich gegen das Kindeswohl bei einer Adoption durch ein homosexuelles Paar sprechen. Exemplarisch sei hierfür auf die Ausführungen des Wiener FPÖ-Landtagsabgeordneten Johann Gudenus verwiesen.

Zusammengefasst lauten diese:

  • Kinder werden vom Kippen des Adoptionsverbots getroffen und tragen leid.
  • Wissenschaftlichen Theorien aus den USA ist nicht zu trauen.
  • Normen sollten niemals überprüft und schon gar nicht außer Kraft gesetzt werden.
  • Gleichberechtigung und Gleichmacherei sind ein und dasselbe.
  • Außer Eltern haben Kinder keine Bezugspersonen.
  • Deshalb müssen sie gegengeschlechtlich sein.
  • Familie ist, was ich sage!

Neuauflage eines Werbeslogans

Wissen Sie, was das ist – also außer ignorantem (Glaub ich nicht, mir egal, ob es plausibel klingt!), tautologischem (Ist so, weil ist so!) Privilegiengeglucke (Hurra, ich bin die Norm und ihr nicht!)? Das ist die Neuauflage eines Werbeslogans, den sich die Firma Scholz & Friends vor ein paar Jahren hat einfallen lassen: Tofu ist schwules Fleisch!

Homosexualität wird in diesem Sinn abschätzig als etwas Defizitäres gebrandmarkt. Etwas, das man nun wirklich nicht wollen würde, wenn man die Wahl hätte. Etwas, das mangelhaften Menschen zu Eigen ist, bei denen es bedauerlicherweise nicht zur Heterosexualität gereicht hat. Menschen, die gar keine richtige Familie sein können, sondern das Recht auf Adoption verlangen, um eine vorzutäuschen. Und für solche kann es eben nur Menschenwürde zweiter Klasse geben.

Schluss damit! Mit welchem Recht glauben Leute wie Gudenus, bedürftigen Kindern die Liebe und Fürsorge von homosexuellen Adoptiveltern vorenthalten zu dürfen? Österreichisches Recht, das müsste selbst ihnen spätestens seit dem 14. Jänner klar sein, ist es jedenfalls nicht. (Nils Pickert, dieStandard.at, 29.1.2015)