Hinter Sandsäcken verschanzt: Jan Jakubal in Paul Wenningers Erster-Weltkriegs-Performance "Uncanny Valley".

Foto: Wenninger

Wien - Seit vor vier Jahren der letzte Soldat starb, der noch im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, existiert dessen Irrsinn nur noch als Konserve in diversen Medien. Hier setzt der Wiener Choreograf Paul Wenninger in seinem Stück Uncanny Valley an, das am Wochenende im Tanzquartier Wien uraufgeführt wurde.

Von diesem Titel, der an Andreas Prochaskas Film Das finstere Tal erinnert, sollte man sich nicht täuschen lassen. Wenninger ist auch ein - experimenteller - Filmer, wie er 2012 mit Trespass, unter anderem bei der Viennale, gezeigt hat. Passend zu seinen Performancewerken konzentriert er sich auf den Animationsfilm. Und damit auf ein Genre, das gerne tief in die medialen Eigenschaften des Films eintaucht.

Eine solche Expedition findet nun auch in der neuen Bühnenarbeit des 48-Jährigen statt. Dafür hat Paul Wenninger mit Nik Hummer, der bei Trespass die Kamera bediente, ein großes Diorama gebaut: Zu sehen sind ein schlammiges Schlachtfeld, ein Stacheldrahtverhau, ein Bunker und - als Diorama im Diorama - eine Vitrine mit Landschaft.

Auf zwei hinter Sandsäcken verschanzte Soldaten, die von Raúl Maia und Jan Jakubal verkörpert werden, schweben wie in starker Zeitlupe einige an Nylonfäden gehängte Gewehrkugeln zu. Die Bewegungen der beiden live agierenden Tänzer werden also extrem langsam ausgeführt. Das ist höllisch schwer.

Die Soldaten sind nicht allein auf der Bühne. Auch ein Kameramann tut seine Arbeit. Und eine Handvoll "Animateure", darunter Wenninger selbst, versorgt Maia und Jakubal in ihrer gedehnten Zeitbewegung ständig und in Echtzeit mit Geräten, Kunstblutflecken oder dramatischem Theaterrauch. Es geht um die Herstellung einer Wirklichkeit als Inszenierung.

Da kommt nun der Stücktitel ins Spiel. Uncanny Valley ist die Bezeichnung für ein allmählich eintretendes Absinken der Akzeptanz von künstlichen, etwa animierten Figuren bei Filmzuschauern. Dieses Phänomen hat nicht nur Folgen für das Entertainment, sondern im übertragenen Sinn auch für die Wiedergabe von Filmaufnahmen von realen Ereignissen.

Die Filmdokumente der Grausamkeiten im Ersten Weltkrieg etwa wirken heute durch ihre Unschärfen, das Schwarz-Weiß und die befremdliche Geschwindigkeit unwirklich. Dagegen geht Paul Wenningers ephemere Übertragung dieses Phänomens spürbar real über die Bühne. Eine ausgezeichnete Arbeit. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 2.2.2015)