Trophäen eines Großwildjägers: Peter Simonischek als Pianist Heink, seine Frau spielt Regina Fritsch.

Foto: Burgtheater / Georg Soulek

STANDARD: In Hermann Bahrs Ehekomödie "Das Konzert" wird ein selbstverliebter Starpianist mit Hang zu notorischer Untreue von seiner Ehefrau vorübergehend geläutert. Ist das Stück nicht eigentlich das heitere Satyrspiel zu Schnitzlers Ehevernichtungsdramen?

Peter Simonischek: Es ist fantastisch geschrieben, ein "well-made play". Es gibt Sentenzen, die eins zu eins aus dem Weiten Land stammen könnten. Doch dort ist es ein Psychodrama, hier handelt es sich um eine Komödie. Was die Sache durchaus nicht erleichtert. In dem Moment, in dem man psychodramatisch wird, verkrümelt sich der ganze Spaß.

STANDARD: Stellen die ideologischen Vorgaben der Entstehungszeit - 1909 - nicht ein Problem dar? Das Männer- wie das Frauenbild würde man heute niemandem durchgehen lassen.

Simonischek: Das ist das Hauptproblem für eine heutige Aufführung. Wahrscheinlich ist eine solche sowieso nur in Wien möglich. Denn selbst wenn es nicht mehr der gültige Code ist, so kennt man hier die gesellschaftlichen Voraussetzungen. Je nach Generation und politischer Haltung wird man die kokette Verweigerung der Frauen wiedererkennen und die despotische Haltung der Männer.

STANDARD: Die Frauen sind klüger, weil sie die Eitelkeit der Männer durchschauen. Zugleich "dürfen" sie sich fügen.

Simonischek: Dass sie klüger sind, ist auch aktuell nachvollziehbar. Eine solche Komödie ist ja auf den Wiedererkennungseffekt angewiesen. Trotzdem bekommen gewisse überholte Mechanismen durch Bahr recht. Und da wird es schwierig. Gerade der Schluss ...

STANDARD: Georg Heink kann es nicht lassen, tändelt weiter mit den Schülerinnen?

Simonischek: Der auf die Duldsamkeit der Frau hin angelegte Ehevertrag wird verlängert. Das ist ein Plädoyer für die Toleranz der Ehefrau. Sie darf sich damit abfinden, gut Schach spielen zu können und eine gute Köchin zu sein. Das wird in unserer Produktion übrigens anders gemacht.

STANDARD: Wie spielt man die Egozentrik eines Blenders wie Heink? Man muss ihn bestätigen, um das Publikum für ihn zu interessieren. Zugleich muss man ihn sich doch vom Leib halten.

Simonischek: In seiner Blödheit legitimiert ihn einzig sein Charme - und dass er naiv ist. Das ist die Formel: charmant und beschränkt.

STANDARD: Was macht ihn dann unwiderstehlich?

Simonischek: Er weiß selbst nichts von sich. Er legt seine Karten vor seiner Frau offen auf den Tisch. Das beeinträchtigt nicht ihre Bewunderung und erregt zugleich ihr Mitleid.

STANDARD: Gleichen Sie das eitle Gebaren einer Figur wie Heink mit eigenen Erfahrungen ab?

Simonischek: Man denkt sich eher: Solche Erfahrungen habe ich nicht. Da muss ich meinen Freund fragen, der weiß mehr darüber. Oder man gräbt die Erinnerung an die Achtundsechziger um, denn da begann die Umerziehung der Männer zu den Weicheiern, mit denen sich die Damenwelt von heute abfinden muss.

STANDARD: Ich meinte die Künstlereitelkeit. Ist man als Schauspieler nicht gefährdet, das übersteigerte Selbstgefühl mit hinaus in den Alltag zu nehmen?

Simonischek: Sicher. Es gibt ja so richtig autistisch-monomanische Schauspieler. Wir wollen keine Na- men nennen. Ich gehöre da nicht dazu. Ich bin wirklich kein Exhibitionist. Es gibt ein schönes Zitat von der Anni Rosar, als man sie fragte, wie stark man einer Rolle verhaftet sei: Sie meinte, nein, das Hineinkommen ist nicht das Problem. Aber das Zurückfinden, das ist halt sehr schwer! Mir fehlt der Glaube daran.

Natürlich färbt die Rolle, die man probt, auf einen ab. Ich merke es daran, wie ich mich kleide oder pflege. Spiele ich den Handwerksburschen in Woyzeck, dann färbt das ab. Spiele ich den Heink im Konzert, dann gehe ich nicht gemütlich in Turnpatschen ins Theater, sondern ziehe meine Maßschuhe an. Das ist aber auch zu verkraften. Heink hat ja etwas Borniertes. Damit komme ich zum Thema Schuld: Ich bin ja ein alter Achtundsechziger. Die Latzhosenzeit ist auch nicht spurlos an mir vorübergegangen. In Beziehungen gibt es keine Besitzansprüche.

STANDARD: Bahr spricht der Schlamperei das Wort?

Simonischek: Das machen wir aber nicht mit in Felix Praders Produktion. Der Schluss wird bei uns nicht als Verlängerung des Ehevertrages gesehen. Man muss halt eine charmante Pointe hinkriegen. Charmant ist übrigens auch der Schluss bei Bahr nicht.

STANDARD: Weil Heink in sein altes Muster zurückfällt?

Simonischek: Das Ganze kommt mir vor wie ein sehr lustig zu erzählender Witz mit schwacher Pointe.

STANDARD: Er beugt sich über die nächste Schülerin?

Simonischek: Und die "Muz", seine Frau, ist wieder am Kochen. "Ess' ma bald?"

STANDARD: "Das Konzert" basiert auf der Verehrung, die man Künstlern in Wien entgegenbringt. Als langjähriger Schauspieler der Berliner Schaubühne sind Sie doch auch anderes gewöhnt?

Simonischek: Die Schaubühne war in den 1980ern ein Klosterbetrieb. Darin spiegelt sich deutlich der Unterschied zwischen Wien und Berlin. Das Potenzial der Schauspielerverehrung ist hier ein ganz anderes.

STANDARD: An der Schaubühne wäre Bahrs "Konzert" unmöglich gewesen?

Simonischek: Hätte keiner dort gemacht. Es wurde blöderweise auch kein Schnitzler gespielt. Was umso schwerer zu verstehen ist, als viele Schnitzler-Stücke in Berlin uraufgeführt wurden. Wir hatten halt auch nur drei größere Produktionen pro Spielzeit. Ich habe deshalb auch viele Rollen nicht gespielt, die ich sonst, woanders, gespielt hätte. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 6.5.2015)