Flüchtlinge bitten um Asyl: Regisseur Michael Thalheimer bringt Elfriede Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen" am Burgtheater zur österreichischen Erstaufführung, Bühne: Olaf Altmann.

Foto: Burgtheater/Reinhard Maximilian Werner

"Die Schutzflehenden" ist ein wenig bekanntes Drama von Aischylos (vermutlich 466 v. Chr.), in dem die fünfzig Töchter des Danaos vor ihrer Verheiratung aus Ägypten fliehen und bei König Pelasgos in Argos um Asyl ersuchen. Es diente Elfriede Jelinek als Basis für Die Schutzbefohlenen.

"Die Schutzbefohlenen" Jelinek schrieb das Stück unter dem Eindruck der im Dezember 2012 in der Wiener Votivkirche ausharrenden und um mehr Rechte für Asylwerber kämpfenden Flüchtlinge sowie der Migrationstragödien vor der Insel Lampedusa. Es wurde im Mai 2014 von Nicolas Stemann uraufgeführt und zum diesjährigen Berliner Theatertreffen (1. bis 17. 5.) eingeladen. Österreich-Premiere ist am 28. März im Burgtheater, Regie führt Michael Thalheimer.

Parasitärdrama ist eine Wortschöpfung Elfriede Jelineks für ihre aus mehreren Quellen und Prätexten gespeisten und montierten Theaterstücke. "Ich kann es nicht allein", räumt die Autorin bescheiden ein. Insbesondere sind es die antiken griechischen Dramen, auf deren Struktur sie ihre Sprechgebilde errichtet, infiltriert von Medienberichten, die den Diskurs abbilden. Die Quellenangaben bei Die Schutzbefohlenen lauten: Aischylos' Die Schutzflehenden; "Zusammenleben in Österreich", eine Broschüre des Innenministeriums zur Vorbereitung auf die Staatsbürgerschaft, Ovids Metamorphosen und "eine Prise Heidegger".

"Machen Sie, was Sie wollen" lautete die Regieanweisung bei Ein Sportstück, das Einar Schleef 1998 am Burgtheater zur Uraufführung brachte und das heute noch durch seine radikale chorische Umsetzung ein Markstein in der Jelinek'schen Inszenierungsgeschichte ist. Die Autorin bittet die Regie generell um Einmischung und bezeichnet den Regisseur generös als Koautor. Ihr Verständnis von dramatischer Literatur ermöglicht inszenatorische Freiheiten, die Christoph Schlingensief 2003 mit dem Irakkriegsstück Bambiland auf die Spitze trieb, indem er auf der Bühne nur wenige Zitate des Stücktextes verwendete.

Textfläche Wiesen die ersten Theaterstücke Ende der 1970er-/1980er-Jahre (Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Clara S. oder Burgtheater) noch eine klassische Figurenrede und szenische Anweisungen auf, so entwickelten sich Jelineks Dramen zunehmend in Richtung eines entpersonalisierten Redeflusses, in eine Art Ansprache, die insbesondere mit der Sichtbarmachung des Sprechaktes spielt. Diese grob als "Textflächen" bezeichneten Polyfonien bilden gesellschaftliche Diskurse ab. Wer spricht? Und wie spricht diese(r) jemand?

Jelinek-Perücke Hochtoupierte Stirnhaare und zwei geflochtene Zöpfe, wie sie die Autorin gerne trug (seit dem Nobelpreisjahr gibt es keine offiziellen Bilder), wurden zur Jelinek-Frisur erklärt. Diese macht es Regisseuren leicht, die Autorin auf der Bühne als Figur sichtbar zu involvieren. Eine logische Schlussfolgerung, da auch Jelinek das Autoren-Ich den Texten immer wieder einschreibt.

Roter Faden Dieser geht bei Jelinek nicht mit einer Handlung einher, die Stücke sind handlungsleer. Den sogenannten roten Faden gilt es allein entlang der Redeströme zu finden. Keine geringe Herausforderung an die Regie, vor der viele zurückschrecken. Selbst ein versierter Jelinek-Regisseur wie Nicolas Stemann (er hat bisher sieben Stücke inszeniert) musste sich da einmal Luft machen: "Sie nerven, die Texte!"

Postprotagonistisch bezeichnet man ein Theater jenseits klar gekennzeichneter, miteinander agierender Figuren. Bei Jelinek sind es Redepositionen, es gibt keine Einheit von Figur und Gesagtem, Perspektiven werden aufgespalten.

"Ästhetik der Mesalliance" Jelineks Texte stecken voller Querschläge. Sie führen Edles mit Schund, Hohes mit Niederem zusammen und brechen so das Pathos. Beispielsweise richtet sich der Chor in Die Schutzbefohlenen in seiner Not folgendermaßen an "Gott": "[...] wer auch immer du bist, du, du, Jesus, Messias, Messie, egal [...]" (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 19.3.2015)