In Wien hatten im Jahr 2013 insgesamt 61 Prozent der Kinder, die einen Kindergarten besucht haben, nicht Deutsch als Muttersprache.

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Wien – Die knackige Karotte knirscht im Mund. Sie schmeckt leicht süßlich und erinnert daran, dass Mama immer gesagt hat, dass dieses Gemüse gut für die Augen ist. "Wie würden Sie das auf Englisch sagen?", fragt Dilek Donat. Süß ist einfach: sweet. Nach einigem Überlegen fällt auch das richtige Wort für knackig ein: crunchy.

Sprachwissenschafterin Donat präsentiert vor Journalisten ein "Best of best" der Kurse zur Mehrsprachigkeit der Wiener Volkshochschulen, die seit Oktober vergangenen Jahres laufen. Eine der Veranstaltungen heißt "Mehrsprachigkeit spielerisch und mit allen Sinnen fördern". Dabei werden die Begriffe und Erinnerungen, die Kindern und Eltern zum Beispiel beim Schmecken einer Karotte einfallen, in allen Sprachen der Familie benannt. Das soll den Kindern helfen, neue Wörter zu lernen und den Geschmack auch später mit den Wörtern verbinden zu können.

Kindergarten: 61 Prozent haben andere Erstsprache

In Wien hatten im Jahr 2013 insgesamt 61 Prozent der Kinder, die einen Kindergarten besucht haben, nicht Deutsch als Muttersprache. 49 Prozent der Schüler sprachen im Schuljahr 2012/13 eine andere Erstsprache, in ganz Österreich lag der Wert bei 20 Prozent. An Österreichs Schulen gibt es muttersprachlichen Unterricht in 25 Sprachen. Die am stärksten nachgefragten sind Türkisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch (BKS). Insgesamt besuchen 18 Prozent aller Schüler solche Kurse.

Da für die Kindergärten die Bundesländer zuständig sind, gibt es keine gesammelten Zahlen zu muttersprachlichen Förderungen. In Wien sprechen laut der zuständigen MA 10 rund 40 Prozent der 120 Assistenten und Assistentinnen für Sprachförderung eine andere Erstsprache als Deutsch. "Sprachliche Bildung erfolgt situativ und handlungsorientiert, eingebettet in den Alltag – nicht separiert in Kurssystemen", heißt es.

Zwei bis drei Sprachen ohne Probleme

Die Förderung in den Familiensprachen sei vor allem im Kleinstkindalter wichtig, erklärt Donat, die im "lern.raum" der Wiener Volkshochschulen tätig ist. Bis zum Alter von fünf Jahren könnten Kinder ohne Probleme zwei bis drei Sprachen lernen.

Die Wiener Volkshochschulen bieten in der Reihe "Eine Familie – viele Sprachen" Kurse für Eltern, Verwandte und Pädagogen an, die zeigen sollen, wie man Mehrsprachigkeit richtig fördert. Auch das Projekt "Multilingual Families", das mit Mitteln der EU-Kommission und fünf anderen Organisationen aus Großbritannien, Polen, Tschechien und Deutschland erstellt wurde, soll über Mehrsprachigkeit aufklären. "Eltern haben Angst, dass sie ihr Kind überstrapazieren, dass es zu stottern beginnt oder durch mehrere Sprachen verwirrt wird", sagt Donat. Dies sei falsch. Im Informationsfolder von "Multilingual Families" heißt es etwa: "Kinder, die von Beginn an mehrere Sprachen erwerben, scheinen mühelos damit umzugehen, es ist für sie Normalität."

Sprachen mischen

Es ist auch üblich, dass Kleinkinder oft "switchen" und die Sprachen mischen. Eltern sollten das Mischen nicht verhindern, da es Teil des Spracherwerbsprozesses sei, heißt es. Auch Donat sagt: "Das ist völlig normal, und spätestens in der Schule können sie die Sprachen unterscheiden."

In ihren Unterlagen empfehlen die Volkshochschulen zudem, dass Eltern mit ihren Kindern in der Sprache sprechen, die ihnen am vertrautesten ist. Die Familiensprache sei für die Kinder später ein Schlüssel zur eigenen Identität. Um die Sprache des Landes, in dem die Familie lebt, den Kindern ebenfalls beizubringen, wird der regelmäßige Kontakt zu Menschen empfohlen, die Deutsch als Muttersprache sprechen.

Nicht Deutsch sprechen

Donat selbst hat bis zum Kindergarten nur Türkisch in ihrer Familie gesprochen. Erst im Kindergarten hat sie Deutsch gelernt. "In diesem Alter funktioniert der Spracherwerb ganz natürlich, sehr intuitiv und durch Imitieren, nicht durch Vokabel-Lernen", sagt sie. Auch wenn in der Familie nicht Deutsch gesprochen werde, würden die Kinder ja trotzdem in ihrer Umgebung, etwa durch die Medien, mit der Sprache konfrontiert.

Für mehrsprachige Kinder sei es wichtig, dass ihre Familiensprache auch im Kindergarten und in der Schule wertgeschätzt werde, sagt Donet. Kinder möchten grundsätzlich anderen Kindern ähnlich sein. Deshalb weigern sich manche, vor allem ältere, die Familiensprache zu sprechen. (Lisa Kogelnik, derStandard.at, 19.3.2015)