Das Paradies ist eine Falle. Wem in dieser "gated community" die Augen aufgingen, so erzählt es die Bibel, dem drohte die Deportation. Längst ist der Garten Eden, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen, ins Jenseits verlegt. Seitdem kommt da niemand mehr lebend hin. Mit catastrophic paradise, einem weiteren Teil ihres großen performativen Projekts "(katastrophen 11/15) ideal paradise", vertieft die Wiener Regisseurin, Choreografin und Künstlerin Claudia Bosse jetzt im Tanzquartier Wien (TQW) ihre Expedition in die kolonialistische Wirklichkeit der Gegenwart. Wer 2014 die Vorgängerarbeit what about catastrophes?, ebenfalls im TQW, sehen konnte, wird sich schnell in dem Setting der aktuellen Arbeit zurechtfinden: Der sorgfältig konzipierte Performanceraum wird mit dem Publikum geteilt, man kann sich eine Zeitlang frei darin bewegen wie in einer Ausstellung. Und es gibt Passagen, in denen Bosses sieben DarstellerInnen aktiv werden, Rituale ausführen, Choreografien absolvieren und als Schwarm oder Haufen ein soziales Feld aufspannen. So nimmt der gesellschaftliche Umbruch Gestalt an. Zu hören sind u.a. Klangkompositionen von Günter Auer, Stimmen aus Claudia Bosses Interview-Archiv und Texte aus Montaignes Essais. Präsent sind Dokumente von dem liberianischen Kriegsverbrecher Joshua Milton Blahyi alias General Butt Naked und Spuren von Marcos Prados’ Doku Estamira (2004). (ploe, DER STANDARD, 20.3.2015)