Der Dämon ist mitten unter uns: "Monument 0" im Tanzquartier.

Foto: Ursula Kaufmann

Wien - Eine Künstlerin zielt auf einen sehr wunden Punkt: Über das Phänomen Krieg wurden Bibliotheken geschrieben, unzählige Filme gedreht und Bilder gemalt. Trotz großer Gegenbewegungen übt die "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" weiterhin eine so hohe Faszination aus, dass er ganzen Industriezweigen ungebrochen prächtige Gewinne beschert.

Im Fadenkreuz

Das ist mehr als nur unheimlich. Dieses Mehr nimmt die in Deutschland arbeitende Choreografin Eszter Salamon jetzt in ihr künstlerisches Fadenkreuz. Ein erstes Ergebnis - das Stück ist als Beginn einer Serie angelegt - war am Wochenende unter dem Titel Monument 0: Haunted by wars (1913-2013) im Tanzquartier Wien zu sehen.

Anders als kürzlich der Wiener Paul Wenninger mit seiner choreografischen Performance Uncanny Valley über den Ersten Weltkrieg geht Salamon etwas Grundsätzliches an. Ihre zentrale Metapher ist der archaische Dämon des Krieges, und diese bearbeitet sie im Sinn einer "Archäologie des Immateriellen", wie sie in einem Buch des Archäologen Victor Buchli (Universität Cambridge) entworfen wird.

Salamon legt ihre künstlerische "Grabung" auf dem Zeitfeld 1913 bis 2013 an. Dort findet sie prähistorische Relikte vor und übersetzt sie in archaische Ästhetiken, wie sie für die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts von Bedeutung waren: Körperbemalungen, Masken und Kriegstänze.

Salamons sechs Tänzer stammen, wie wir alle, von afrikanischen Vorfahren ab. Vor diesem Hintergrund durchsetzt die Choreografin ihre nach exaktem Plan hintereinander geschichteten Soli, Duette, Trios, Quart-, Quint- und Sextette mit Zeichen und Gesten vor allem aus afrikanischen Kulturen. Der Stücktitel Monument 0 erinnert überdies an den Monolithen in Stanley Kubricks Film 2001: A Space Odyssey, dessen Erscheinen menschliche Primaten zur Entdeckung der Ur-Waffe inspirierte. Und wie da die Frühmenschen um den Monolithen tanzen, umtanzen in Monument 0 sechs dämonische Gestalten die kulturellen Muster des Kriegerischen.

Datei der Konflikte

Am Ende des Stücks wird sein Zeitfeld aufgeschlüsselt: mit einem Wald aus über die Bühne verteilten Täfelchen, auf denen die Daten von Kriegen zwischen 1913 und 2013 verzeichnet sind. Darin tanzt und torkelt ein afrikanischer Dämon mit weißem Damen-Sonnenhut umher. Die Tafeln fallen - wie die kollektive Erinnerung an diese Konflikte. Man darf gespannt sein, wie Salamons Kriegsgeschichte im nächsten Teil ihres Projekts weitergeht. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 30.3.2015)