Wie im Rausch hantelt sich Kabarettist Sigi Zimmerschied in seinem Solo "Tendenz steigend" durch die Reizthemen unserer Zeit.

Foto: Kabarett Niedermair

Wien - Steigen und Fallen gehören zu den bestimmenden Zentrifugalkräften des Lebens. Und das nicht erst, seitdem hüpfende Börsenkurse über Gedeih und Verderb unserer Wirtschaft entscheiden. Es geht auch bodenständiger. Sonne auf, Sonne ab zum Beispiel. Oder Ebbe und Flut. Und genau dieser nimmt sich Sigi Zimmerschied in seinem neuen Kabarett Tendenz steigend an. Eine Hommage an das Naturschauspiel Hochwasser, die man wohl nur dann richtig versteht, wenn man es selbst schon erlebt hat.

Sigi Zimmerschied, bayerische Kabarett- und Schauspielinstanz seit über 30 Jahren, hat schon so einige Gewässer er- und überlebt. Seine Heimatstadt Passau, in der Donau, Inn und Ilz zusammenfließen, wird seit Jahrhunderten von den Fluten heimgesucht. Im Kollektivbewusstsein hinterlässt das Spuren. Auch bei Zimmerschied: Ganz so polternd wie sonst kommt der Charakterdarsteller mit Hang zur Grimasse diesmal nicht daher.

Poetisch, sanft, mit einer Liebeserklärung an den Inn, tänzelt der schwarz Gekleidete über die leere Bühne. Der Fluss führt noch normal hohes Wasser. Deshalb gibt sich Zimmerschied, verkettet in einer Schicksalsgemeinschaft, allseits versöhnlich. Die alten Feindbilder seien abhandengekommen. Er möge jetzt einfach alle: den liebreizenden Weihbischof, Politiker, die vielen Flüchtlinge, die lesbische Tochter und auch den Taugenichts-Bub.

Doch dann steigt der Pegel, und mit jedem Meter erhitzt sich Zimmerschieds Gemüt. Keiner hilft beim Aufbau des Hochwasserschutzes, denn "in der Krise werden die Fachkräfte knapp". Die iPhone-Generation sei sowieso unbrauchbar. Zehn Apps gingen noch, aber schon bei 30 traue man nicht einmal mehr grünen Ampeln. Wie im Rausch hantelt sich der vom Wasser Bedrohte durch die Reizthemen unserer Zeit. Es geht um traumatisierte Syrer, nigerianische Christen und schwule Russen, Retortenbabys und Gregor Gysis vorzeitigen Samenerguss. Detail am Rande: Österreichische Mehlspeisen seien nur deswegen so weich, weil die Habsburger schlechte Zähne hatten.

Weil aber noch jedes Hochwasser irgendwann wieder vorübergegangen ist, findet auch Zimmerschied zurück zu seiner Mitte. Die Pegelstandsmeldung "Tendenz fallend" erlöst den Wüterich, der eben noch zuckend und beißend über Pegida und Jihadisten herfiel und sich nun versöhnt mit Fluss und Welt fröhlich von der Bühne summt.

Sigi Zimmerschied führt mit klugem Rückgriff auf die Hochwasser-Metapher vor Augen, wie fragil Erregungszustände unter Krisenbedingungen sein können. Das chaotisch-sprunghafte, an- und abschwellende Programm ist zweifellos ein Stück Zeitdiagnose, in dem ein regional verwurzeltes Phänomen zur philosophischen Erzählung aufgeblasen wird. Kritik am Spiel der Börsenspekulanten kommt leider etwas zu kurz. Denn die offenkundigsten Vertreter des "Hinter uns die Sintflut"-Lifestyles hätten sich in Tendenz steigend ein paar kabarettistische Watschen mehr verdient. (Stefan Weiß, DER STANDARD, 13.4.2015)