Wien - Woran lässt sich ein Star erkennen? Am Rummel? An der Erwartung, am Jubel - oder doch an der Person? Um es klarzustellen: Als Sängerin hat Anna Netrebko alle Anerkennung verdient. Auch wenn sie keine Berühmtheit wäre, hätte sie hier viel Applaus geerntet. Die massenhysterische Verzückung - einschließlich einiger Medien - hätte es wohl nicht gegeben.

Die Russin mit dem vielbeschworenen österreichischen Pass ist längst auf dem klassischen Musikolymp angekommen (und nicht nur bei der Olympiade). Doch wirkt sie dabei ein wenig wie die Puppe Olympia aus Hoffmanns Erzählungen (ohne deren Fehler!): Sie vollbringt Staunenswertes, bleibt selbst dabei jedoch seltsam unterkühlt.

Auch bei der Titelpartie von Anna Bolena gibt es technisch fast nichts auszusetzen und kaum genug zu loben: Ihr Sopran klingt noch voller, ermöglicht geschmeidige Phrasen und ein üppiges Piano. Dass Anna als Anna jedoch eher wie die Diva im Kostüm wirkt, als dass sie menschliche Seelenregungen ausstrahlt, liegt auch daran, dass ihr mimisches und gestisches Repertoire nicht besonders differenziert ist (übrigens auch in einem weniger starren Umfeld als der arglosen Bebilderung von Eric Génovèse). Ihre szenische Präsenz verdankt sie vor allem jenem majestätischen Stolz, den ihre Haltung vermittelt - unmittelbar glaubwürdig macht sie das aber nicht. Und so wird der Schmerz der Figur zur Bravour.

Anders, nämlich seelenvoll, verkörperte Margarita Gritskova den Pagen Smeton mit betörenden Farben und fühlbarer emotiona- ler Aufzehrung. Hausdebütantin Ekaterina Semenchuk war eine respektable Seymour (die ihre Anforderung jedoch um den Preis der Herbheit einlöste), Luca Pisaroni ein souveräner Enrico, Celso Albelo ein allzu gequälter Percy. Klanglich fein ziseliert, blieb das Dirigat von Andriy Yurkevych ansonsten recht unverbindlich. Doch irgendwie passte das zu Regie und Protagonistin. (daen, DER STANDARD, 13.4.2015)