Heike Radvan: "Es ist Aufgabe der Pädagogen, diesen Kindern ein Fenster offen zu halten, sodass sie eines Tages aussteigen können aus der rechten Szene."

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In Deutschland werben Rechtsextreme bereits in Kindergärten für ihre Ideologie, einerseits als Eltern, andererseits auch als Pädagoginnen. Erziehungswissenschafterin Heike Radvan, Leiterin der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus bei der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, erklärt im Gespräch mit derStandard.at die Strategien der Rechten und zeigt auf, welche Gegenmaßnahmen helfen können.

derStandard.at: Sie beraten Pädagogen und Pädagoginnen in der Frage, wie diese damit umgehen sollen, wenn sie Rechtsextremismus in Kindergärten und Schulen wahrnehmen. Ist das tatsächlich so ein großes Problem in Deutschland?

Radvan: Wir arbeiten in einer speziellen Region in Mecklenburg-Vorpommern. Hier siedeln sich seit mehreren Jahren zunehmend rechtsextrem engagierte Familien an. Wir hatten vor sechs Jahren die ersten Anfragen von Pädagoginnen aus Kindertagesstätten, die mit dem Problem konfrontiert waren. Daraufhin haben wir Schulungen entwickelt. Mittlerweile gibt es auch ein größeres Beratungsangebot dafür in Berlin und darüber hinaus.

derStandard.at: Gibt es dieses Problem vorrangig in den Regionen der ehemaligen DDR?

Radvan: Es handelt sich nicht nur um ein ostdeutsches Phänomen, auch im Westen Deutschlands sind wir damit konfrontiert. Es hat damit zu tun, dass Rechtsextremismus kein bloßes Jugendphänomen ist, wie es lange wahrgenommen wurde. Die rechten Jugendlichen der 90er-Jahre sind erwachsen geworden und haben Kinder bekommen. In Westdeutschland gibt es zudem Familien, die sich bereits seit drei, vier Generationen nationalsozialistisch, völkisch, rechtsextrem orientieren. Mecklenburg haben viele dieser Familien strategisch besiedelt. Die Idee des Siedelns war bereits im Nationalsozialismus vorhanden. Darauf wird heute zurückgegriffen.

derStandard.at: Welche Probleme ergeben sich im Alltag, wenn rechtsextreme Familien ihre Kinder in Kindergärten schicken?

Radvan: Viele rechtsextreme Menschen erkennt man heute nicht mehr auf den ersten Blick, etwa an Tattoos oder am Kleidungsstil. Grundsätzlich gibt es das Problem der Wahrnehmung. Pädagogen fällt es oft schwer, frühzeitig zu erkennen, mit wem sie es zu tun haben. Häufig sind die Mütter in diesen Familien im traditionellen Sinn für die Kindererziehung zuständig. Sie bringen sich oft engagiert in die Elternarbeit ein, was von den Pädagogen positiv wahrgenommen wird. Ziel ist es, zunächst das Vertrauen der Pädagogen und anderer Eltern zu gewinnen.

derStandard.at: Das Vertrauen soll gewonnen werden, um die rechte Ideologie weiterzuverbreiten?

Radvan: Wenn eine Vertrauensbasis geschaffen ist, beginnen diese Mütter oft sehr gezielt, ihre Ideologie einzubringen. Dann wird beim Elternabend beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob an der Wand weiterhin Bilder hängen sollen, auf denen migrantische Kinder zu sehen sind. Manchmal werden Kinderbücher in die Kita mitgegeben, die sich beim näheren Hinschauen als antisemitisch oder rassistisch herausstellen. Oder es werden bei Kindergeburtstagen Eltern angesprochen, um diese für ihre Sache zu gewinnen. Das geschieht oft sehr subtil. In einem nächsten Schritt geht es dann gegen das Asylwerberheim im Dorf.

derStandard.at: Was raten Sie Pädagogen für den Umgang mit Kindern aus diesen Familien?

Radvan: Die Kinder können nichts dafür. Für sie ist die Kita oft der letzte Ort, wo sie einen demokratischen Alltag erleben können. Es ist Aufgabe der Pädagogen, diesen Kindern ein Fenster offen zu halten, sodass sie eines Tages aussteigen können aus der rechten Szene. Und es ist ihre Aufgabe, mit den Eltern zu arbeiten. Möglicherweise sind diese in Richtung Ausstieg zu erreichen. Grundsätzlich raten wir in solchen Fällen, Beratung hinzuzuziehen.

derStandard.at: Wie kann dieses "offene Fenster" aussehen?

Radvan: Wenn Kinder Vielfalt und einen demokratischen Alltag erleben, indem ihnen respektvoll begegnet wird, wenn sie sehen, dass Kinderrechte gelebt werden, kann das zu einer Orientierung führen, der zugrunde liegt, dass alle Menschen gleichwertig sind. Rechtsextreme Ideologie ist von Ungleichwertigkeit geprägt. So gehen Neonazis z.B. davon aus, dass jüdische Menschen weniger wert seien als nicht-jüdische.

Diese Feindbilder und Abwertungen richten sich gegen Menschen verschiedenster Gruppenzugehörigkeiten. Kinder spüren Ungerechtigkeiten oft sehr unmittelbar. Wenn sie in der Kita den Unterschied zu der Ideologie zu Hause erleben, kann das perspektivisch eine Chance sein.

derStandard.at: Was können Sie über den Erziehungsstil dieser völkischen Familien berichten?

Radvan: Das lässt sich nicht verallgemeinern. Auch Neonazis haben gelernt, dass es ihre Kinder nicht zu Führungspersönlichkeiten befähigt, wenn sie ihnen gegenüber gewalttätig sind. Nicht alle Neonazis behandeln ihre Kinder schlecht. Völkische Kaderfamilien haben das Ziel, ihre Kinder in diese Ideologie zu sozialisieren. Dazu schicken sie ihre Kinder in Lager. Härte, Ideologie, Dominanz und geschlechtsspezifische Erziehung werden dort vermittelt.

derStandard.at: Hilft es, mit den Neonazis in Dialog zu treten?

Radvan: Unsere Erfahrungen zeigen: Wenn mehrere Personen kontinuierlich deutlich machen, dass rechtsextreme Äußerungen nicht okay sind, und Neonazis immer wieder in die Schranken gewiesen werden, wirkt das sehr stark. Neonazis kommen in die Minderheit, ziehen sich zurück werden defensiver und passiver. Deshalb ist es wichtig, dass sich demokratisch überzeugte Menschen zusammentun, Koalitionen bilden und sich beispielsweise klar gegen Rassismus positionieren. Neonazis sind keine netten Nachbarn, mitunter bedrohen sie ihr Umfeld. Deshalb ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

derStandard.at: Vor Jahren gab es einen Aufruf der NPD an rechtsextreme Frauen, in Sozialberufen tätig zu werden. Hat er gefruchtet?

Radvan: Es gibt mehrere bekannt gewordene Fälle, wo Pädagoginnen in Kindergärten und Schulen durch rechtsextreme Äußerungen auffällig wurden.

derStandard.at: In einem Kindergarten in Lüneburg war es offenbar sehr schwierig, eine Kindergärtnerin zu kündigen, die aus rechtsextremen Kreisen kam und ihre Ideen in den Kindergarten trug. Was empfehlen Sie in solchen Fällen?

Radvan: Grundsätzlich ist es gut, dass das Arbeitsrecht so ausgeprägt ist, dass Kündigungen nicht so ohne weiteres möglich sind. Wir empfehlen in diesen Fällen die Entwicklung eines demokratischen Leitbilds. Wenn vorab sehr genau ausgehandelt wurde und Grundlage des Arbeitsvertrags ist, was unter Rassismus und Antisemitismus zu verstehen ist und dass die Ideologie der Ungleichwertigkeit nicht geduldet wird, besteht in solchen Fällen eher die Möglichkeit zu kündigen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 22.4.2015)