Wien - Wer glaubt, die absolute Leere wäre nichts weiter als Nichts, und dieses Fehlen von allem fürchtet, hat sicher nicht unrecht. Aber hinter dem Horror einer restfreien Abwesenheit lauert noch etwas. Und dieses Etwas entfesselt gerade die Wiener Choreografin Deborah Hazler in ihrem neuen Stück Keep Us Going im Brut Künstlerhaus.

Der Titel darf wörtlich genommen werden. Es gibt zwei Tänzerinnen und zwei Laufbänder. Eine Moderatorin, Anat Stainberg, erklärt, die beiden Frauen würden in Bewegung bleiben, so lange nette Leute aus dem Publikum die Laufbänder nutzen. Die Musik zu dem Marathon macht DJane Malika Frankha. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen auf harten Holzbänken an den Längsseiten eines grünen Spielfeldes.

Anstandslos melden sich die ersten Lauffreudigen, und ab geht die Post. Hazler selbst und ihre Mittänzerin Sarah Holcman beginnen in farbenfrohen Fitnessoutfits mit angedeuteten Standardtanzbewegungen. Diese gehen in harmonische Drehungen über, deren Charakter durch eine Anzahl verschiedener Armhaltungen variiert wird.

Die Moderatorin beginnt, dem Publikum und den Tänzerinnen Fragen zu stellen. Mit entwaffnender, anrührender Ehrlichkeit wird geantwortet. Wie sich Ruhm anfühle. Wie man wisse, dass man gut sei. Ob man je etwas zu lang gemacht habe. Vordergründig empathisch klingende Fragen, die prinzipiell unkommentiert bleiben. Nach jeder Antwort wird gedankt. Nach einer halben Stunde scheint klar, dass genau diese unverbindliche Ebene gehalten werden soll. Die Tänzerinnen führen nun minimalstes Wippen aus. Die DJane lässt beliebiges Klimpern hören. Von den Laufbändern tönt das dumpfe Pochen der Schritte.

Die Situation wird monoton. Aber nicht ganz. Denn kaum ist ein Tiefpunkt erreicht, wird ein kleiner Reiz nachgelegt: ein schmalziges Liedchen, ein Wechsel am Laufband, ein paar Fragen mehr, ein Showtänzchen. Spätestens nach einer Stunde zeigt sich das wahre Gesicht des Monsters. Im Tanzen, in der Musik, beim Laufen geht es um gar nichts, doch stets legt die Choreografin ein kleines Schäuferl nach - und im Publikum glimmt ein Ehrgeiz auf: weitermachen, durchhalten. Ein Teil verlässt zwar die Performance, die sich hartgesotten Wähnenden aber laufen oder sitzen aus.

Es wird also sportlich, aber auf eine Art, die der Fantasie von Verhörspezialisten entsprungen sein könnte. Hazler zeigt: Die Leere braucht, um ihre tatsächlichen Abgründe zeigen zu können, immer etwas - das fast nichts bedeutet und im Auftauchen schon ein Verschwinden darstellt. Das Nichts als permanenter Entzug bei perpetuierter Hoffnung ist schlimmer als das nackte Abwesende. Wer da nicht verdrängt oder die Tänzerinnen einfach und zu Recht ob ihrer Konsequenz bewundert, blickt in die Hölle, und zwar in eine, die wir aus dem Alltag sehr gut kennen. Auf diesen Realismus spekuliert Deborah Hazler. Mit Erfolg. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 25.4.2015)