Gideon Maoz als Dog Pawlow mit Moltow-Eimer, Philipp Stix als Wasja Kommunist und Sven Kaschte als Serhij mit Aleksandra Corovic über der Schulter.

Foto: Chloe Potter

Sven Kaschte als Serhij und Aleksandra Corovic als eher amtsmüder Offizier Nikola Ivanovic.

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Wien - 1974 in Luhansk in der Ukraine geboren, ist Serhij Zhadan schnell zur wichtigsten Stimme der Gegenwartsliteratur seines Landes geworden. Ein Gutteil seiner elf bisher veröffentlichten Romane, Gedicht- und Erzählbände liegt in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp vor und hat ihm auch hier Kritikerlob und Preise eingebracht.

Seinen ersten Roman Depeche Mode (2004) haben Julia Burger (Regie) und Anna Laner (Dramaturgie) für das Werk X in Kooperation mit dem Theaterkollektiv Reschen.see zum eindreiviertelstündigen Theatertext adaptiert.

Alkoholisierte Absichtslosigkeit

Darin nimmt Zhadan sein Publikum mit ins Charkiv des Jahres 1993 – eine postsowjetische und präkapitalistische Welt. Von deren Systemen hält man sich am besten gleich ganz fern, wenn es nach Zhadans 19-jährigem Erzähler-Alter Ego Serhij geht. Kein schlechter Rat angesichts der ansässigen Jugendradiosendung, welche die titelgebenden Depeche Mode als "irische Volksmusikgruppe" zu verkaufen versucht.

Serhij (Sven Kaschte) und seine Freunde mit den vielsagenden Namen Dog Pawlow (stets herzhaft berauscht: Gideon Maoz) und Wasja Kommunist (Philipp Stix) durchstreifen die Stadt für gewöhnlich ohne Arbeit, Aussicht und Absichten. Diesmal aber haben sie zwischen "Morgensuff und Abendkotze" eine Aufgabe: Sie müssen Sasha finden, um ihn vom Selbstmord seines Stiefvaters zu informieren.

Mal rotzig und brachial, mal hintergründig komisch, verwebt Zhadan Politisches udn Privates ineinander – das Sterben des Stiefvaters wird Symbol für das Ende einer Nation unter russischer Herrschaft und den Unwillen einer jungen Generation, sich von der Geschichte in Geiselhaft halten zu lassen. Wenn dabei mit Alkohol, Drogen, Kraftausdrücken, jugendlicher Melancholie und einem gegen Gesellschaft und Politik gerichteten "L-m-a-A" Popliteratur auf Ostblock trifft, ist das kein Jammern über Wohlstandsproblemchen, sondern Ausdruck einer Suche nach einem möglichen Leben in diesem Land im Umbruch.

Suche nach Sicherheit

Noch aber treffen hier westliche Musikimporte, Superman-Shirts und Adidas-Pullover auf aus der anderen Richtung beschafften Wodka und sozialistische Utopien (Aleksandra Corovic). Der Wodka wird von Wasja gewinnbringend am Charkiver Südbahnhof weiterverkauft – wo man alles, auch seine Seele loswird. Als Ersatz für die gibt’s dann eben noch mehr Spiritus.

Doch eigentlich wünscht man sich trotz oder gerade wegen aller Revolte ein bisschen Biederkeit und Sicherheit für den Rest des Lebens. Die Bühne als Bausatz von Fabrikstellage und Leseecke aus dem großmütterlichen Wohnzimmer (Matthias Krische) macht diesen Spagat tadellos mit.

Leben, Tod und Glück entstünden aus der Verschmelzung von allem, was an Absurdem so passiert, heißt es im Stück. Und das gilt wohl auch darüber hinaus. Im echten Leben engagierte Zhadan sich 2004 als Teil der Orangen Revolution, zuletzt plädierte er im Ukraine-Konflikt sowohl Russland- als auch EU-kritisch für Vernunft auf beiden Seiten. Möge sich am Ende des sinnlosen Leerlaufs ein Ziel einstellen - nicht nur für die Figuren der überdreht-bunten und abwechslungsreich-kurzweiligen Inszenierung. (Michael Wurmitzer, 13.5.2015)