Wir hatten zehn Jahre Jugend hinter uns – vollgepackt mit Ereignissen und Erlebnissen. Die Rock-'n'-Roll-Revolution, die nicht nur die Musik, sondern auch die Lebensstile veränderte. Der Siegeszug des Transistorradios, das uns unabhängig von den Eltern machte. Nie zuvor konnten junge Menschen hören, was sie wollten, beziehungsweise via Weltempfänger hinaushorchen in die Weite. Dann die Wahl John F. Kennedys zum US-Präsidenten, eines jungen Mannes statt der langweiligen Alten. Und schließlich die 68er-Rebellion, deren Heraufkommen ich in Berlin, in Turin und in London erlebte.

Da bin ich bei mir persönlich. Ich mischte mich in die Hochschulpolitik, gründete mit Freunden und Freundinnen eine neue Partei, die die Uni Graz übernahm.

Ich schaffte ein Stipendium in die USA, besuchte ein Seminar beim Gandhi-Biografen Louis Fisher, lernte Muhammad Ali kennen und schließlich die Studentenrebellen vom SDS (Students for a Democratic Society), deren Manifest das Programm der "Aktion" in Österreich wurde. In London kam es zu Begegnungen mit den Rolling Stones, und Marshall McLuhans Tochter Teri wurde zur Freundin.

Das waren schöne Aufmunterungen für den Entschluss, Journalist zu werden. Aber was sonst? Freunde und Bekannte starteten Partnerschaften, teils schwierig, weil viele von uns der Meinung waren, nicht schöne Frauen seien erotisch, sondern intelligente und aufmüpfige. Leicht gesagt, schwer gelebt. Die traditionelle Ehe wurde damals für tot erklärt, die "freie Liebe" – erleichtert durch die Pille – geriet nicht selten zum Beziehungsdrama. Die Berliner Kommunen wurden oft für Graz geplant, aber nie gegründet.

Basisdemokratie auch im Kindergarten war das Ziel der "Projektgruppe Kinderbeaufsichtigung".
Screenshot: derStandard.at

Immerhin waren die meisten von uns auch schon 30, als sich 1972/73 die Frage stellte: Na, wie werden wir denn unsere eigenen Kinder "erziehen"? Sicher nicht nach dem Vorbild unserer Eltern – der Muff von tausend Jahren steckte nicht nur unter den Talaren, sondern auch in Schulen, Wohnzimmern und Büros. Unsere Kids sollten GANZ ANDERE KINDER werden.

Als pädagogisches Vorbild wurde der britische (ursprünglich aus dem Salzburgischen vertriebene) Kindergarten von Summerhill ausgewählt, wo eine möglichst gewaltfreie Erziehung versucht wurde. In Deutschland und in Österreich geriet das Konzept in Verruf, weil das darüber geschriebene Bestsellerbuch vom Rowohlt-Verlag fälschlich mit "Antiautoritäre Erziehung" betitelt wurde.

Einige Grundprinzipien bestimmten wir selbst.

  1. Es gab Kindergärtnerin und Helferin, aber zusätzlich täglich einen Elterndienst.
  2. Die Eltern trafen sich wöchentlich, wodurch das Ganze auch zu einem "Elterngarten" wurde.
  3. Das Verbot der "gsunden Watschn" wurde ergänzt durch das nur schwer realisierbare Verbot verbaler Aggressionen.
  4. Es gab auch Farbige unter den Kindern, die das nie thematisiert haben.

Konflikte, die sich entwickelten:

  1. Dürfen Kinder wenigstens auf Parkbänke eindreschen? Die einen dafür, die anderen dagegen, weil es sich bei Parkbänken um öffentliche, von den Steuerzahlern finanzierte Güter handelt. Mühsam, das den Kindern zu erklären.
  2. Was ist Autorität? Fazit: Es gibt die natürliche Autorität von Eltern und Großeltern, es gibt Toleranz gegenüber Alten und Kranken. Menschen mit Titeln können nicht automatisch Autorität beanspruchen.
  3. Trotz Autoritätsbehauptung durften die Kinder ihre Eltern mit Vornamen ansprechen.
  4. Gescheitert sind wir am Versuch, die Kinder über wichtige Belange abstimmen zu lassen, zum Beispiel Art des Essens, Spielzeiten, Spielutensilien. Sie wollten und konnten nicht.

Konstruktion und Finanzierung:

  1. Die Räume wurden von den Pfadfindern gemietet, später wurde im Rahmen eines Prekariums ein leerstehendes Haus im Park des Grazer Kulturhauses übernommen und auf Kosten der Mitglieder des Vereins ausgebaut.
  2. Nach Verhandlungen mit dem Land Steiermark bezahlte dieses die Kindergärtnerin und die halben Baukosten. Dieses Modell fand zwei Jahre nach der Gründung Eingang in ein neues steirisches Kindergartengesetz – dem ÖVP und SPÖ zustimmten.
  3. Träger des Modells war die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) unter Egon Kapellari, dem späteren Bischof. Trotzdem bestand keine Konfessionspflicht.
  4. Das tägliche Essen für die Kinder kam aus der KHG-Küche.

Folgen dieses Experiments:

  1. Der Kindergarten teilte sich schließlich in eine Summerhill-Variante und eine streng antiautoritäre.
  2. Aus der Summerhill-Variante entwickelte sich ein ähnlich konzipiertes Volksschulmodell, dem ein mehrsprachiges Gymnasium folgte.
  3. Die Summerhill-Variante gibt es – ohne Elterndienst – heute noch. Ihre Träger identifizieren sich mit den Gründungsgedanken.

Zum 40-jährigen Jubiläum wurde eine von mir verfasste Gründungsbeschreibung als Manual für die künftigen Mitglieder aufgelegt. (Gerfried Sperl, 13.5.2015)

Illustration, erschienen 1976 in der Broschüre der Projektgruppe.
Screenshot: derStandard.at
Screenshot: derStandard.at