Bild nicht mehr verfügbar.

"Wenn der Dirigent nicht dirigiert, macht jeder, was er will", sagt Hannes Androsch.

Foto: APA / Helmut Fohringer

STANDARD: Was sagen Sie zu Rot-Blau im Burgenland? Roter Sündenfall oder okay so?

Androsch: Da müssen wir zurückgehen ins Jahr 1986, als Franz Vranitzky nach Jörg Haiders Wahl gegen den Rat von Kreisky, Benya und Sinowatz den Bruch gemacht und eine Ausgrenzung vorgenommen hat. Man kann eine Partei, die demokratisch gewählt wird, nicht ausgrenzen. Man kann sie bekämpfen, wenn man anderer Meinung ist. Und in der Zwischenzeit gab es zwei Dinge, die sicher keine Empfehlung für eine solche Kombination darstellen: die tragische Erfahrung der FPÖ unter Haider in Kärnten samt Hypo Alpe Adria und der korrupten Verschleuderung von Volksvermögen, an der wir noch lange kiefeln werden, und Schwarz-Blau unter Wolfgang Schüssel, was auch nicht gerade eine Erfolgsstory war. Wenn man plötzlich so einen Schwenk macht, ist das erklärungsbedürftig und zeigt nur die Führungslosigkeit der Partei, weil offensichtlich jeder macht, was er will.

STANDARD: Wenn Sie Führungslosigkeit ...

Androsch: Führungslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Hilflosigkeit.

STANDARD: ... sagen, dann meinen Sie damit SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann?

Androsch: Natürlich. Wenn der Dirigent nicht dirigiert, macht jede Gruppe im Orchester, was sie will. Dann kommt keine Sinfonie zustande, sondern eine Kakofonie.

STANDARD: Was müsste Faymann jetzt tun? Einem Bundesparteitagsbeschluss von 2014 zufolge ist die SPÖ "klar gegen eine Koalition mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen".

Androsch: Er soll endlich aufhören mit dem Schönreden, Beschwichtigen, Gesundbeten und anfangen zu regieren. Regieren ist mehr als Administrieren von Stillstand.

STANDARD: Ist Faymann als SPÖ-Chef durch Rot-Blau im Burgenland infrage gestellt?

Androsch: Das sollen die zur Wahl berechtigten Funktionäre entscheiden. Aber dass er gestärkt aus diesen Wahlen hervorgegangen ist, wird man jetzt nicht behaupten.

STANDARD: Ganz grundsätzlich gefragt: Ist eine Koalition mit den Freiheitlichen für eine sozialdemokratische Partei überhaupt opportun oder ideologisch "erlaubt"?

Androsch: Ich bezweifle vor allem, ob sie sinnvoll ist, weil ich das Programm der derzeitigen FPÖ nicht wahrnehmen kann. Denn nur davon zu leben, die – das stimmt ja – steigende Arbeitslosigkeit zu kritisieren, während die anderen sie schönreden, und aus dem tragischen Problem der Flüchtlinge fremdenfeindlichen populistischen Nutzen zu ziehen ist für mich kein Programm. Meine Schlussfolgerung ist: Ich würde das nicht machen. Nicht, weil ich grundsätzlich ausgrenze – aber dann muss die FPÖ einen anderen Inhalt bekommen. Das ist vorderhand nicht der Fall gewesen.

STANDARD: Also geht's nur um Macht und den Erhalt des Landeshauptmannsessels?

Androsch: Das müssen Sie den Herrn Niessl fragen. In der Politik geht's natürlich um Macht, aber Tatsache ist, dass bei den beiden Landtagswahlen wie schon davor in Vorarlberg – das war schon das Zeichen an der Wand – am wenigsten über die Landespolitik abgestimmt wurde, sondern gegen den Stillstand, die Stagnation, die Hilflosigkeit und Perspektivlosigkeit der Bundespolitik. Die Leute sind verunsichert und werden abgespeist mit Beschwichtigungsformeln, und dann kriegen's einen Zorn. Die einen, die größte Gruppe, gehen gar nicht mehr wählen, die anderen wählen Protest. Da droht in Wien ein Waterloo – und leicht abgeschwächt für Josef Pühringer in Oberösterreich und für die SPÖ sowieso.

STANDARD: Kompakt zusammengefasst: Was bedeutet es für die SPÖ insgesamt, dass die Burgenländer die Büchse der FPÖ öffnen?

Androsch: Dass die SPÖ zerflattert und jeder macht, was er will. Für mich gibt es zur nicht mehr großen, aber größeren Koalition von SPÖ und ÖVP keine sinnvolle Alternative - allerdings unter der Voraussetzung, dass die endlich zukunftstauglich regieren und nicht die Dinge treiben lassen und die leeren Blechdosen nur vor sich herkicken, ob das Budgetsanierung, Pensions-, Bildungs-, Spitals- oder Verwaltungsreform ist. Diese Mutlosigkeit wird ja offensichtlich bestraft. Da nehme ich doch lieber das Risiko in Kauf, dass auch der Mut nicht belohnt wird, aber dann weiß ich wenigstens, warum ich bestraft werde. Fürs Nichtstun steht es sich nicht dafür, in der Politik zu sein, weil Politik heißt Gestaltung. (Lisa Nimmervoll, 5.6.2015)